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Revolte und Reife
Eine Künstlerfamilie
Im ausgehenden 19. Jahrhundert hatte Wien mit dem groß angelegten Ringstraßenausbau,
der Errichtung prachtvoller Palais und unzähliger Miethäuser sowie mit der umfangreichen
Modernisierung der Infrastruktur eine herausragende geopolitische Bedeutung erlangt,
und die Stadt erlebte nun, im Fin de Siècle, eine unvergleichliche Blütezeit in Wissenschaft,
Kunst und Literatur. Die prosperierende Großstadt und der rege intellektuelle Austausch
erzeugten ein generelles Klima des Fortschritts, und durch die Industrialisierung war Wohl-
stand nicht mehr allein dem Herrscherhaus, Adel und Klerus vorbehalten, sondern auch
das Bürgertum konnte sich zunehmend ökonomisch etablieren. Viele Menschen erleb-
ten diese Dynamik jedoch als existenzielle Verunsicherung, und auch die katastrophalen
Ereignisse, die die Welt neu ordnen sollten, zeichneten sich bereits ab. Die Jahre vor dem
Ersten Weltkrieg waren daher geprägt von einem Schwanken zwischen Aufbruchsstim-
mung und diffuser Zukunftsangst, von Zukunftseuphorie und Endzeitstimmung.
In dieser spannungsreichen Zeit wurde Rolf am 7. Juni 1884 als viertes Kind von Ru-
dolf und Maria Geyling in Wien geboren. Aufgrund der schnell und unkompliziert verlau-
fenen Geburt und angesichts des kräftigen Babys war die Mutter sogleich davon über-
zeugt, dass dieser Sohn zum robustesten ihrer Kinder heranwachsen werde. Tatsächlich
entwickelte Rolf rasch körperliche Widerstandskraft und eine hohe Ausdauer sowie ei-
nen energischen, gleichzeitig aber doch anpassungsfähigen Charakter – Eigenschaften,
die das Fundament für seinen ungewöhnlichen Lebenslauf legen sollten.
Die verschiedenen Zweige der Familie Geyling lassen sich bis ins Mittelalter verfol-
gen, wobei die Ahnen der Familie im heutigen Deutschland ansässig waren. Ab Ende des
18. Jahrhunderts lebte jedoch ein Zweig der Familie Geyling in Wien, und bemerkenswert
ist, dass alle Generationen dieser Linie künstlerisch aktive Nachkommen hervorbrachten,
die sich als Hofdekorations-, Landschafts- oder Historienmaler einen Namen machten.
Besondere Bedeutung erlangte Carl Geyling ( 1814–1880 ). Er war ursprünglich als
Landschaftsmaler tätig, ein Auftrag für das kaiserliche Lustschloss in Laxenburg nahe bei
Wien, bei dem österreichische Landschaften auf Glas festzuhalten waren, sollte jedoch
ausschlaggebend für seine gesamte weitere Laufbahn werden. Ohne genaue Kenntnisse
der entsprechenden Technik erreichte Carl erst durch verschiedene Experimente ein zu-
friedenstellendes Ergebnis – und damit auch die Voraussetzungen, dieses Kunstgewer-
be im größeren Stil auszuüben. 1841 gründete er die Firma »Glasmalerei Geyling« und
verlegte sich in Folge zur Gänze auf diesen Kunstzweig, der nach der Gotik im 19. Jahr-
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273