Seite - 139 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
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Die Jahre in Sibirien 139
die Mittelmächte in arge Bedrängnis geraten waren, forderten diese Länder ihren Ver-
bündeten Russland auf, mittels einer Entlastungsoffensive an der Ostfront zu Hilfe zu
kommen. General Alexei Alexejewitsch Brussilow plante in Folge die nach ihm benannte
Offensive, die am 4. Juni begann und bis August 1916 dauerte. Diese Offensive war zwar
der größte militärische Erfolg Russlands im Ersten Weltkrieg, brachte jedoch ungeheu-
re Verluste auf beiden Seiten mit sich. Österreich–Ungarn und Deutschland hatten rund
770. 000 Tote, Verwundete und Gefangene zu beklagen, in Russland betrug die Zahl der
Verluste rund 1 Million. Die hinzutretende wirtschaftliche Notlage im Hinterland ver-
stärkte den Unmut der Bevölkerung, und beide Faktoren trugen schließlich wesentlich
zum Kollaps des Zarenreiches im März 1917 bei.
Der anfängliche Erfolg der Brussilow-Offensive bewog schließlich auch Rumänien, auf
der Seite Russlands in den Krieg einzutreten. Die schlecht ausgerüstete Armee musste
allerdings von Anfang an von Russland unterstützt werden, und schon aus den ersten
direkten Kämpfen mit der rumänischen Armee gingen die Mittelmächte siegreich hervor.
Für Rolfs Frau, die kurz vor dem Kriegseintritt Rumäniens von Bukarest aus zu einer
Kur in Goisern bei Bad Ischl aufgebrochen war, brachte die veränderte Situation weite-
re Unsicherheiten mit sich. Ihre Wohnung lag nunmehr im »Feindesland«, und sowohl
sie als auch Rolf konnten damit immer weniger auf eine positive Wende in den priva-
ten Verhältnissen bzw. eine Wiederaufnahme des abrupt beendeten Familienlebens in
Bukarest hoffen.
Architekturentwürfe in der Gefangenschaft
Die »29 Architekturskizzenblätter«, die Rolf in seinem Tagebucheintrag vom 25. Juni er-
wähnt, belegen indessen klar Rolfs Hoffnung, nach Kriegsende zumindest seine Archi-
tektenlaufbahn möglichst rasch wieder aufnehmen zu können. Von Rolf selbst erfährt
man jedoch nur einmal etwas über seine diesbezügliche Tätigkeit, und zwar, als er am
17. März 1916 an seine Mutter schreibt, dass er »fleißig an Architekturskizzen arbeitet«,
und er gleichzeitig um die Zusendung neuer Architekturzeitschriften bittet, um über die
aktuellen Strömungen informiert zu sein. »Ich hoffe so von der unglücklichen Zeit doch
wenigst einen kleinen Nutzen retten zu können. [ … ] Außerdem muß man sich hier ge-
rade fest beschäftigen sonst ist man recht böse daran, wie einige Beispiele uns hier zei-
gen.« Immer wieder mit den psychischen Problemen der Mitgefangenen konfrontiert,
entwickelt Rolf offenbar erfolgreich eine Strategie, um sich mit konkreten Aufgabenstel-
lungen der Einförmigkeit der Gefangenschaft zu entziehen. Die Ziele, die sich Rolf dabei
setzte, ließen ihn zeitweise geradezu zum »Workaholic« werden, wie sein Schriftverkehr
belegt. »Ich muß auch sagen, daß mir die Zeit noch nie zu lange wurde und unglaub-
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273