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Das architektonische Werk 221
schiedlicher Länge und wie zufällig verteilt die Fassaden. Leider wurde das Gebäude
später durch Umbauten und einen Dachaufbau entscheidend verändert.
Miethäuser
Im Miethausbau war Rolf zu keinen Kompromissen bereit. Aufschlussreich ist eine Bemer-
kung Rolfs aus dem Jahr 1934, die erahnen lässt, dass er von den Bauherren nicht immer
für eine moderne Gestaltungsweise bedingungslose Zustimmung erhalten hat. »Seit ei-
nem Jahr sind nun auch von den führenden Englischen und amerikanischen Architek-
ten die modernen Bauformen endlich aufgenommen worden, und damit ist für mich das
Feld der Betätigung offen. Da dies meist noch altmodische und schwerfällige Herren sind
so habe ich, trotzdem ich nicht zu obigen geldstrotzenden Nationen gehöre, doch gute
Chancen. Meine Bauherren sind natürlich überwiegend Chinesen, die jetzt auch plötz-
lich zur allermodernsten Bauweise übergehen. Die haben es ja leichter, weil sie nicht mit
der europäischen Stilarchitektur belastet sind.« ( Brief an die Mutter, 14. Oktober 1934 )
Anders als die für die europäischen Bewohner errichteten, jeweils im »nationalen« Stil
gestalteten öffentlichen Gebäude wurden die Miethäuser, die häufig von reichen Chi-
nesen als Geldanlage in Auftrag gegeben wurden, tatsächlich nicht mehr so reichhaltig
mit historistischen Motiven überladen. Sie sind schlichter, funktional mit großen Fens-
tern und häufig auch mit Balkonen ausgeführt, und eine richtige Modeströmung scheint
die Verwendung von Sichtziegel, häufig in Kombination mit Putz- oder Sichtbetonflä-
chen, gewesen zu sein.
Von den vielen von Rolf erbauten Miethausprojek-
ten sind nur drei dokumentiert, die er sehr unterschied-
lich gestaltete.
Das erste Miethaus, die camBridGe flats, entwarf Rolf
als Bauherr. (Abb. 106) Es zeigt noch eine etwas weni-
ger ausgeprägte Nüchternheit. Die drei mittleren Ach-
sen heben sich über drei Stockwerke risalitartig von der
übrigen Fassade ab und sind weiß verputzt, während die
angrenzenden Fassadenteile sowie der Sockel als farbli-
cher Kontrast aus Backstein hergestellt sind. Große un-
terschiedliche Fensterformen, flache Loggien und Bal-
kone beleben die Fassade, und flache Gesimse, die die
Fenster der jeweiligen Stockwerke begrenzen, machen
die Fassade zusätzlich lebendig. Im Jahr 1937 erweiter-
te Rolf das Gebäude durch einen zusätzlichen Trakt. Der 106 Cambridge Flats, Tientsin,
im Bau, 1935 /36
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273