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Die Jahre in Sibirien 153
Allen  ! An guten Büchern gelesen außer Storm Pitt und Fox von Friedrich Huch34 – viel
selbstähnliches.
Mitte Dezember Österreichische Rot-Kreuz Schwester Gräfin Kinsky mit einem russischen
Fürsten hier. Viele Beschwerden über alle Vorfälle, von denen manche doch Wirkung zu
haben scheinen. Auch wurde sofort das Tragen von Trauerbinden und die Gedächtnis-
messe fĂĽr den Kaiser erlaubt, was hier verboten war. Auf Befehl des Majors hatten alle
Offiziere in Uniform mit Armbinden teilzunehmen. NatĂĽrlich Oblt. Siegel hielt sich wieder
fern, und mit ihm seine Zimmergenossen: Lt. Bloch, Fähnrich Kunz und Primmer. Gleich
nachher war er aber bei der Versammlung, also nicht krank.
Von der Schwester 100 Rubel geliehen bekommen. Weihnachtstage recht einsam und
trĂĽbe zugebracht. Am 25. Dezember versammelt uns der russische Oberst im Saal um
uns scheinbar wegen der Beschwerden zu beschwichtigen, aber wir können nicht recht
trauen, haben schon zu viel Gemeinheiten erfahren. Seit sechs Wochen keine Post mehr,
bis am 27. ein Kistchen mit Waschsachen von Greta ankommt. GroĂźe Friedennachrich-
ten und Hoffnungen  !
1917
Aus dem Jahr 1917 existieren nur wenige Tagebuchaufzeichnungen Rolfs, was als wei-
teres Indiz der anhaltenden Monotonie und scheinbaren Aussichtslosigkeit gedeu-
tet werden kann. Da die Gefangenen von den Revolutionen im Februar und Oktober
offensichtlich wenig tangiert waren und der Krieg mit den Mittelmächten noch nicht
beendet war, hatte Rolf nur wenig zu berichten, zumal sich die Schikanen der Wach-
mannschaft, die Kürzung der Lebensmittelrationen etc. in immer gleichförmiger Wei-
se wiederholten.
Die paradoxe Situation, dass der größte militärische Erfolg, den Russland im Rah-
men der Brussilow-Offensive errang, letztlich entscheidend zum Niedergang des Zaren-
reiches beitrug, spiegelt sich somit kaum in Rolfs Aufzeichnungen wider. Die immensen
Verluste der Offensive hatten das Heer demoralisiert, und die ursprĂĽngliche Kriegsbe-
geisterung fand auch im Hinterland keinen Rückhalt mehr, da die Bevölkerung unter der
34 F. Huch: Pitt und Fox. Die Liebeswege der Brüder Sietrup. München 1909. Friedrich Huch ( 
1873–
1913 
) gilt als Vertreter der »Dekadenzdichtung« um die Jahrhundertwende. Rolfs Anmerkung,
wonach der Roman »viel selbstähnliches« enthalte, ist insofern bedeutsam, als sein Tagebuch
kaum selbstreflexive Passagen aufweist und damit an sich auch wenig von seinen tiefergehen-
den Überlegungen und Emotionen preisgibt. Selbstähnlich dürfte Rolf wohl insbesondere der
Protagonist Pitt erschienen sein, der bei der Suche nach einer Partnerin Angst vor einer allzu
engen Beziehung erkennen lässt und immer wieder vor zu großer Nähe zurückscheut.
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273