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lomatische Vertretungen eingerichtet wurden, entdeckte man bald die VorzĂĽge dieses
kleinen Ortes, der nicht nur über ein angenehmes Klima, sondern auch über einen schö-
nen Sandstrand verfügte. Insbesondere die in Tientsin lebenden Europäer verbrachten
die heiĂźen Sommermonate in ihren als Zweitwohnsitz erbauten Sommerresidenzen, und
auch die reichen Chinesen pflegten die heiĂźe Saison in diesem Badeort zu verbringen.
Nach der Machtergreifung der Kommunisten wurden die prächtigen Villen enteignet
und den Parteispitzen zur Verfügung gestellt, während ein Teil des Strandes für zahlungs-
kräftige Touristen adaptiert wurde. Auch Mao Zedong (  Mao Tse-tung  ) hatte hier sei-
nen Sommersitz, und in der Folge wurden auch die jährlichen Tagungen der Parteispit-
ze in diesem Luxusbadeort abgehalten. Die Anziehungskraft dieses Ortes ist bis heute
ungebrochen: Am 20. August 2012 schreibt die österreichische Tageszeitung »Die Pres-
se«, dass der im Jahr 2003 eingesetzte Staatspräsident Hu Jintao als Erstes die jährliche
Klausurtagung der Parteiführer in Beidaihe (  Peitaiho  ) untersagte, da er insgesamt »mit
der Dekadenz in den höchsten Parteispitzen aufzuräumen« gedachte. Aber davon, so
»Die Presse«, ist schon lange keine Rede mehr: »Bis heute halten sich die Parteibonzen
ihre exklusiven Villen am abgeriegelten Parteistrand. Und in diesem Sommer zog sich
die chinesische FĂĽhrungsspitze das erste Mal nach neun Jahren ganz offiziell wieder hin-
ter die Mauern des Luxusbadeortes zurück«.
Hatte Peitaiho allein als gerne aufgesuchter Urlaubsort Bedeutung, so war Tientsin
die Stadt, wo die europäischen Einwanderer lebten, ihren Berufen nachgingen und wo
sich auĂźerhalb der Sommermonate das gesellschaftliche Leben abspielte.
Als Nahtstelle zwischen dem chinesischen Kaiserreich und den europäischen Kolo-
nialmächten hatte Tientsin bereits eine lange Tradition. Ab dem ersten Auftreten euro-
päischer Kaufleute vor den Küsten des Kaiserreichs China im 16. Jahrhundert entwickel-
te sich ein intensiver Seehandel zwischen den Europäern und dem Reich der Mitte. Einer
der wichtigsten Handelshäfen wurde Tientsin. Die Stadt liegt ca. 120 km südöstlich von
Peking an der MĂĽndung des Pei-Ho-Flusses in den Golf von Bohai im Gelben Meer. Vor
allem Tee und Seide waren gefragte Exportartikel, und da Europa kaum fĂĽr China inte-
ressante Ware produzierte, fĂĽhrten die DevisenabflĂĽsse zu einer spĂĽrbaren Silberver-
knappung. England, das insbesondere auf den Teeimport angewiesen war, hatte unter
den folgenden volkswirtschaftlichen Auswirkungen massiv zu leiden, und um dem ent-
gegenzuwirken, wurde verstärkt auf den Handel mit Opium, das England aus Indien be-
zog und nach China exportierte, gesetzt. Dies fĂĽhrte zu zunehmenden Problemen in der
chinesischen Verwaltung und zu einem Handelsbilanzdefizit auf chinesischer Seite. Der
Versuch, den Opiumhandel einzuschränken sowie sich durch Handelsprotektionismus
gegen das infolge der Industrialisierung zunehmend übermächtige Ausland und des-
sen Freihandelspolitik insgesamt zu wehren, fĂĽhrte in der Folge zu den zwei sogenann-
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273