Page - 183 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
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Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 183
mutter schrieb, heißt es etwa: »Wie rasch fliegt die Zeit; eins zwei drei – sind auch die-
se Jahre der Trennung herum – und dann – so hoffe ich gibt es auch für uns endlich ir-
gendwo bei euch ein sesshaftes Heim – und ein ruhiges frohes Leben. – Dies ist ja eine
Übergangszeit – und wohl eine der schwersten – dies wird mir hier erst so recht be-
wusst.« Wirtschaftliche Probleme in ihrer Heimat führten bei Hermine zwar zu der Ein-
sicht, dass die Entscheidung ihres Mannes, nach China zu gehen, nicht so falsch war. So
antwortet Hermine am 3. Februar 1922 in einem Brief an ihre Eltern: »Dein letztes Sch-
reiben, lieber Vater, hat wohl nicht wenig darin beigetragen, dass ich so langsam begrei-
fen lerne, das mein besonnener Rolf vielleicht doch nicht so Unrecht hatte, wenn er mit
mir das Weite suchte.« Emotional allerdings konnte sie den Schmerz über die Trennung
von der Familie nicht, wahrscheinlich nie ĂĽberwinden. (Abb. 80)
Rolf drängte nun, im Frühjahr 1921, jedenfalls auf eine baldige Rückreise nach China.
Er wollte von der erst vor wenigen Monaten neu gegrĂĽndeten Firma nicht allzu lange fern
bleiben, und er wusste, dass auch die laufenden Bauprojekte seine Anwesenheit erforder-
ten. Hermine hatte also nicht viel Zeit, sich auf die neuen Lebensumstände einzustellen.
Während Rolf für seine Firma Geschäftsverbindungen
anbahnte, war Hermine vor allem mit der Vorbereitung
des Reisegepäcks beschäftigt, wobei natürlich die klima-
tischen Verhältnisse, die in China zu erwarten waren, eine
Rolle spielten. In Tientsin, wo das Ehepaar eine Wohnung
zu mieten plante, erfolgte so wie in ganz Nordchina ein
ähnlicher Jahreszeitenwechsel wie in Mitteleuropa, aller-
dings mit weit extremeren Temperaturen. In den Som-
mermonaten herrscht eine extreme, trockene Hitze, die
nur selten von heftigem Regen unterbrochen wird. Im-
mer wiederkehrende SandstĂĽrme und Ăśberschwemmun-
gen erschwerten das Leben zusätzlich. Im Winter ist es
hingegen eisig kalt, sodass beispielsweise die Bautätig-
keit komplett eingestellt werden musste. Im GroĂźen und
Ganzen konnte also Hermine damit rechnen, dass ihre
und Rolfs vorhandene Kleidung in Tientsin passend sein
würde, und nur einige zusätzliche Stücke waren sodann
an Ort und Stelle zu besorgen. Denn die Männer trugen
in der heißen Jahreszeit vor allem kurzärmelige Hemden
sowie leichte Baumwollhosen oder Shorts, KleidungsstĂĽ-
cke, die wohl weniger in Rolfs österreichischem Kleiderschrank zu finden waren. Auch
neue Kopfbedeckungen mussten in Tientsin besorgt werden. Im Sommer war nämlich
80 Das junge Ehepaar vor der
Abreise aus Europa
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273