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China 198
fe mit einer Verzinsung von mindestens 10 oder 12 %, so dass das Geld gut angelegt ist
und durch eine Entwertung nicht, oder zumindest nicht ganz betroffen werden kann.«
Die von Rolf erwähnten »politischen Ereignisse« wurden in Nordchina vor allem
durch das japanische Expansionsstreben verursacht. Nachdem Japan nach dem Ersten
Weltkrieg in dieser Hinsicht etwas zurĂĽckhaltender agiert hatte, flammten diese Inten-
tionen im Zuge der Weltwirtschaftskrise neuerlich auf, denn in Japan sah man in einer
zusätzlichen Erweiterung des Landes eine Lösung der wirtschaftlichen Probleme. Im
September 1931 benutzten die Japaner daher einen angeblich von der chinesischen na-
tionalistischen Partei geplanten Bombenanschlag in Mukden, dem Ort, wo Rolf die Uni-
versität errichtet hatte, als Vorwand, ihre militärische Kontrolle über die gesamte Man-
dschurei auszudehnen. Der Anschlag soll jedoch in Wahrheit von den Japanern selbst
verĂĽbt worden sein. Zur Verwaltung des eroberten Gebiets wurde im Jahr 1932 der Ma-
rionettenstaat Mandschukuo errichtet, an dessen Spitze der im Jahr 1912 abgesetzte letz-
te Kaiser von China stand.
Rolfs Ă„uĂźerung bezog sich vor allem auf den Umstand, dass Nordchina auf Druck
der Japaner im Begriff war, sich von der Nankinger47 Regierung unabhängig zu erklären.
Er meinte denn auch, dass der Einfluss der Japaner sehr steigen werde, »aber ich glaube
nicht, dass dies für die anderen Ausländer hier, und noch weniger für die Chinesen von
Nachteil sein wird.« Er glaubte außerdem, dass diese Umstellung ohne besondere Un-
ruhen oder »gar Schiessereien« vor sich gehen und sehr bald abgeschlossen sein wer-
de. Allerdings war sich Rolf bewusst, dass diese Neuordnung eine Entwertung des chi-
nesischen Dollars auf das Niveau des japanischen Yen mit sich bringen werde.
Immer getrieben von der Angst, dass sich die Verhältnisse wieder ändern könnten,
arbeitete er wieder die halben Nächte, oft bis 2 oder 3 Uhr früh durch, und sehr vie-
le Sonntage verbrachte er mit Planungen und Berechnungen in seinem BĂĽro, denn das
Jahr 1934 war für ihn ein »Rekordjahr. Ich bin so beschäftigt wie schon lange nicht, und
war, namentlich die Frühjahrsmonate überbeschäftigt. Mädy stand mir sehr brav bei, so
dass ich jeden Abend bis spät in die Nacht arbeiten und so ohne viel Hilfskräfte sehr,
sehr viel bewältigen konnte.« (  Brief an Greta, 14. 8. 1934  ) Trotz der positiven Geschäftsla-
ge betonte er, dass es fĂĽr ihn eine Beruhigung sei, dass er sich durch den Bau des Miet-
hauses »Cambridge Flats« mit der Vermietung der Wohnungen ein zusätzliches finan-
zielles Standbein schaffen konnte.
47 1912 stieg Nanjing (  Nanking  ) unter dem Regime Sun Yat-sens, des Begründers der Republik
und der nationalistischen Volkspartei Kuomintang, zur Hauptstadt Chinas auf. 1927 etablier-
te dessen Nachfolger Chiang Kai-shek in der Stadt das von ihm gefĂĽhrte nationalkonservati-
ve Nanjing-Regime, das bis 1937 bestand.
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273