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China 212
riesigen Lössebene, die einen Großteil Nordchinas bedeckt. Der Kaiserkanal, mit dessen
Bau schon im 6. Jahrhundert vor Chr. begonnen worden war, und der Fluss Pai Ho durch-
ziehen das Stadtgebiet, und in der Zeit der Monsunregen wurde die Stadt aufgrund des
undurchlässigen Bodens immer wieder von schweren Überschwemmungen50 heimge-
sucht. Seit Jahrhunderten wurde die Flutbekämpfung mit wechselndem Aufwand und Er-
folg betrieben. Die Schutzbauten gegen das Hochwasser bestanden aus einer Reihe von
Sammelbecken, Flutsperren und Schleusen, wobei die erste Schiffschleuse bereits im Jahr
984 entstand. Als im Jahr 1930/31 die Ausschreibung fĂĽr den Neubau erfolgte, bei der Rolf
als Sieger hervorging, befanden sich sämtliche bestehende Anlagen in äußerst schlech-
tem Zustand. Ein Damm war bereits beschädigt,
und tatsächlich hatte Rolf während seiner Tätig-
keit mit einem Dammbruch zu kämpfen. Während
der gesamten Bauzeit stand ihm ein chinesischer
Ingenieur zur Seite, dessen groĂźes Fachwissen fĂĽr
Rolf eine unverzichtbare Hilfe war. (Abb.94)
Seiner Schwester schreibt Rolf am 12. April
1931: »Die Baustelle ist per Auto in einer Stunde
von hier zu erreichen. Die Bausumme ist fast eine
Viertel Million mex. Dollars51, also reichlich groĂź
um daran zu verlieren, und der Preis natĂĽrlich so
knapp, dass man nur wenig gewinnen kann. Dazu
ein grosses Risiko durch Wassergefahr, und der
enormen Verzugsstrafe von 500 Dollars per Tag
einer Verspätung der Fertigstellung. Du wirst fra-
gen warum ich die Arbeit unternahm: Nun nicht
nur aus Ehrgeiz. Es ist im Baugeschäft so wenig zu
50 Von einer »Nebenwirkung« dieser Überschwemmungen, die trotz der Errichtung von Schutz-
bauten niemals ganz gebannt werden konnten, erzählte der Sohn Franz: Da die Verstorbenen
auf dem Boden ihrer Ahnen bestattet wurden, war das unverbaute Land mit GrabhĂĽgeln ĂĽber-
sät. Bei den stets wiederkehrenden Überschwemmungen wurden allerdings die Särge häufig
aus dem Erdreich gespült und man sah die – mehr oder wenig gut erhaltenen – Särge auf dem
Fluss gegen das Meer ziehen.
51 In der Republik China war eine Vielzahl an ausländischen Silbermünzen im Umlauf. Darüber
hinaus gaben zahlreiche in- und ausländische Banken eigene Währungen heraus, sodass eine
groĂźe Verunsicherung bezĂĽglich der Zahlungsmittel herrschte. Im Allgemeinen hat sich der
mexikanische Dollar, der häufig auch als chinesischer Dollar bezeichnet wurde, als Währungs-
einheit durchgesetzt (  bis zum Jahr 1939 
). 94 Hochwasser-Abfanganlage und
Schiffsschleuse bei Tientsin, Rolf
und der chinesische Chefingenieur,
1930/31
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273