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deuteten die Teeeinladungen für deren Ehefrauen eine wichtige Abwechslung in ihrem
ansonsten wohl recht eintönigen Leben. Denn alle hatten reichlich Hauspersonal bis hin
zu Kinderfrauen und daher viel freie Zeit, die sie scheinbar kaum mit sinnvollen Tätigkei-
ten auszufüllen wussten. Hermine berichtet einmal in einem ihrer Briefe, dass sie nach
ihrer Rückkehr aus Peitaiho bis zu 50 Einladungen zum Tee wahrnehmen bzw. ausspre-
chen müsse, was sie als große Belastung empfand, nicht zuletzt, da sie ja ihre Konver-
sationspartnerinnen aus tiefster Seele verachtete.
Gestaltete sich der Kontakt von Rolf und Hermine zu den Landsleuten letztlich auf-
grund der Milieuunterschiede schwierig, so war Hermine bezüglich der chinesischen Be-
kanntschaften immer wieder über die Mentalitätsunterschiede irritiert und erlebte die
Begegnung mit fremden und befremdenden Sitten und Gebräuchen wiederholt als Kon-
frontation. Auch in diesem Fall darum bemüht, Einladungen möglichst zu umgehen, war
dies doch insbesondere dann unmöglich, wenn diese von Mr. Tschang, einem wichtigen
und reichen chinesischen Geschäftspartner der Firma Yuen Fu, ausgesprochen wurde.
Die Einladung schloss auch Rolfs Geschäftspartner und deren Frauen mit ein und sah
ein Essen in einem der bekanntesten chinesischen Restaurants mit einem anschließen-
den Opernbesuch vor.
»Es war strapaziös in jeder Hinsicht«, schreibt Hermine im Februar 1922 an ihre El-
tern. »Zu einem sogenannten chinesischem Essen gehört ersteinmal ein anderer Ma-
gen als der meinige.« Mr. Tschang – er blieb ein lebenslanger Verehrer Rolfs – erschien
mit seinen zwei Ehefrauen und seiner Tochter, und jeder wurde eine der eingeladenen
Frauen zur speziellen Betreuung zugeteilt, wobei Hermine die Tochter zugewiesen be-
kam, die »mir unentwegt tapfer von all den Dingen auf meinen Teller [ lud ]«. Ohne grö-
ßere Unterbrechungen wurden laut Hermines Bericht von einer Reihe von Kellnern ca.
ein Dutzend Vorspeisen und etwa zwanzig Hauptgerichte aufgetragen. Zum Abschluss
gab es mehrere Nachspeisen. Hermines Betreuerin »Tai-Tai« sorgte dafür, dass sie von
jedem Gericht probierte, wodurch sie viele äußerst schmackhafte Entdeckungen mach-
te, wie Hermine zugesteht, besonders die Suppen, die aus Schwalbennestern sowie aus
Haifischflossen zubereitet wurden, sind ihr offenkundig sehr positiv in Erinnerung ge-
blieben. Allerdings stellt sie gleichzeitig kritisch fest: »Die Suppe kommt mitten auf den
Tisch, und alles fischt mit seinem Löffel heraus. Kurzum es war gottvoll und es gehört in
jeder Beziehung ein guter Magen dazu«.
Eine Episode schildert Hermine ihren Eltern, über die sie und Rolf im Nachhinein
selbst immer wieder gelacht haben dürften. Da der Abend mit dem Essen nicht zu Ende
war, bestand natürlich das Bedürfnis, eine Toilette aufzusuchen. Daraufhin wurden die
Damen in einen großen Raum geleitet, an dessen Wänden einige Klubsessel standen und
Spiegel hingen. Hermine schreibt, dass sie einigermaßen entsetzt war, als sie feststellen
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273