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Frühling 1936 war er aber durch Adaptierungs- bzw. Ausbauarbeiten – er erbaute auch
ein Hotel – in finanzielle Schwierigkeiten geraten und wendete sich nun an Rolf mit der
Bitte um Hilfe, wie aus einem Brief hervorgeht. Vielleicht hat Liermberger Rolf die An-
stalt sogar zum Kauf oder zumindest eine Beteiligung angeboten. Jedenfalls lehnte Rolf
ab. Am 21. 6. 1936 schreibt er seiner Schwester: »Von Otto habe nichts gehört über seine
Adaptierungsarbeiten, trotzdem ich ihm schrieb. Dagegen schrieb mir Karl Kuderna [ 
ein
Freund der Familie  ] und riet mir sehr ab. Er meinte die halben Hotels in den Alpen wä-
ren zu verkaufen weil das Erträgnis ein so schlechtes sei.« Rund ein Jahr später befand
sich Liermberger noch immer in so großen Schwierigkeiten – es wurde bereits von einer
Versteigerung des Anwesens gesprochen –, dass er sich neuerlich an Rolf wendete. Die-
ser entwickelte nun eine umfassende Strategie: Rolf wollte die Anlage ĂĽbernehmen, al-
lerdings sollte seiner Schwester Greta die Oberaufsicht übertragen werden, während er
selbst in das nahe gelegene Innsbruck zu ĂĽbersiedeln vorhatte. Einerseits beabsichtigte
Rolf dort seinen Beruf weiter auszuĂĽben, und andererseits wĂĽrde sein Sohn Franz dort
eine Universität mit entsprechenden Studienmöglichkeiten vorfinden. Wichtig war Rolf
auf jeden Fall, dass er seine Ersparnisse sicher anlegen konnte. Als Bedingungen nannte
er deshalb, dass er selbst Alleinbesitzer werde und sein Cousin und dessen Frau die Lei-
tung des Sanatoriums und Hotels bis zur Pensionierung von Greta ĂĽbernehmen und die
Geschäftsführung dann an Greta übergeben sollten. Wie Rolfs Cousin, aber auch Greta
auf diese Vorschläge reagierten, ist nicht bekannt. Jedenfalls ist aus diesem Plan – wahr-
scheinlich auch aufgrund der nachfolgenden politischen Ereignisse – nichts geworden.
Während in Europa die Wirtschaftskrise ihren Höhepunkt erreichte, war Rolf mit ei-
ner Reihe von Projekten voll ausgelastet. Er arbeitete wiederum halbe Nächte durch, und
seine Heimkehrpläne traten neuerlich in den Hintergrund – nicht aber der Wunsch, sein
Geld mit »einer einigermaßen guten Verzinsung« in Österreich anzulegen. Zu diesem
Zweck war ihm scheinbar alles recht: »Ich habe natürlich auch manchmal an das Gey-
lingsche Haus in der WindmĂĽhlgasse gedacht, falls das aus irgend einem Grund zum
Verkauf kommen sollte. Nachdem Löws53 nicht rein arischer Abstammung sind könn-
te sich dies doch etwa ereignen«, schrieb er in Anbetracht der Hintergründe, die solch
einen Verkauf erzwangen, irritierend nĂĽchtern und scheinbar ungerĂĽhrt. Oder wusste
Rolf tatsächlich nicht, wie es der jüdischen Bevölkerung in dieser Zeit in Wien erging  ?
53 Als Rolf Geylings Vater Rudolf die künstlerische Leitung der Glasmalereiwerkstätte übernom-
men hatte, wurde die kommerzielle Leitung Alois Löw, Ehemann einer unehelichen Tochter Carl
Geylings, übertragen. Löw hat in der Folge das Haus mit der Werkstätte in der Windmühlgas-
se 22 (  Wien 6  ) erworben. Trotz aller Bemühungen, insbesondere von Remigius Geyling, das
Haus unter Denkmalschutz stellen zu lassen, wurde es 1967 abgerissen. Die Werkstätte wurde
in den 15. Bezirk verlegt.
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273