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China 248
allerdings die rivalisierenden Gruppierungen trotz unterschiedlicher ideologischer Auf-
fassungen eine »Erste Einheitsfront« mit dem umfassenden Ziel, die nationale Einheit
Chinas wieder herzustellen. Dazu gehörte die Befreiung vom imperialistischen Druck Ja-
pans sowie vom Einfluss der Warlords und – nicht zuletzt – von den westlichen Mäch-
ten. Nach dem Tod von Sun Yat-sen, dem GrĂĽnder der Republik, im Jahr 1925 brachen
allerdings unter dessen Nachfolger Chiang Kai-shek die Kämpfe zwischen den Partei-
en neuerlich aus.
Am 7. Juli 1937 ereignete sich der sogenannte »Zwischenfall an der Marco-Polo-Brü-
cke«. Ein Schusswechsel bei der nahe Peking gelegenen Brücke zwischen japanischen
und chinesischen Soldaten wird allgemein als auslösend für den Zweiten Japanisch-Chi-
nesischen Krieg gesehen. In der Folge formierte sich zwischen den Kuomintang und den
Kommunisten die »Zweite Einheitsfront« zum Widerstand gegen die japanischen Ag-
gressoren. Dieser Pakt hielt, abgesehen von einigen Zwischenfällen, bis zum Jahr 1941.
Als der Krieg im Sommer 1937 ausbrach, erreichten die Kämpfe auch Tientsin. Rolf
hielt sich gerade bei Hermine und den Kindern auf Besuch in Peitaiho auf, und er erreich-
te gerade noch den letzten Zug, um nach Tientsin zurĂĽckzukommen. Da aus Peitaiho
mit keinem funktionierenden Postverkehr zu rechnen, aber gleichzeitig anzunehmen war,
dass Nachrichten ĂĽber die Kriegshandlungen auch Europa erreichen wĂĽrden, schrieb Rolf
am 4. August 1937 an seine Schwiegereltern, um sie ĂĽber die aktuelle Lage zu informie-
ren. Er berichtete, dass die kritischen Tage schon wieder vorbei seien, er aber trotzdem
froh sei, dass sich seine Familie in Peitaiho aufhalte, »denn einmal ist Peitaiho heute der
sicherste Platz für Ausländer von ganz Nordchina und zweitens hätte sich Mädy, und die
Kinder wohl auch, hier recht aufgeregt. Die ausländischen Konzession und auch der Erste
Sondersitz (  alte deutsche Konzession  ) in der wir wohnen waren nicht ernster gefährdet
als durch einige weitgehende InfanteriegeschoĂźe, aber das tagelange Bombardement
in der Umgebung, die Fliegerbomben in den Morgenstunden und die Brände am Ho-
rizont wirkten für schwache Nerven doch beunruhigend. Ich habe den österr. General-
konsul bei mir ĂĽber Nacht aufnehmen mĂĽssen und ich habe noch wohl an 20 Kisten mit
Habe befreundeter Chinesen bei [  eine Zeile fehlt  ]. Vorläufig ist keine Gefahr mehr durch
den Krieg, höchstens durch Räuber und Einbrecher weil seit Tagen keine Polizei existiert
und dann durch Epidemien, weil 40.  000 Flüchtlinge auf Straßen, Plätzen, in Gärten und
größeren Gebäuden kampieren. Auch da kommt schon allmählich Ordnung hinein. Ein
Internat. Komitee sorgt, dass die Flüchtlinge betreut werden und dass jene, deren Häu-
ser nicht zerstört sind, und das ist ja doch der größte Teil so rasch als möglich in ihre
Umgebung zurücktransportiert werden. – Kurz gesagt, wir sind hier Alle, die schon län-
ger in China sind, an derlei Überraschungen durch die eigenen Bürgerkriege gewöhnt
und nehmen die Vorfälle nicht zu tragisch. Stacheldrahtbarrikaden bei allen Eingängen
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273