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China 254
Im Oktober 1939 befand sich Hermine jedoch noch immer in Rumänien, und Rolf
drängte nun darauf, dass sie möglichst bald zumindest nach Wien bzw. Emmersdorf fah-
ren solle. In einem Brief vom 26. Oktober betont Rolf neuerlich, wie leid es ihm getan
habe, nicht nach Österreich fahren zu können. »Der noch wichtigere Grund warum ich
nicht weg kann liegt in der Sorge um mein Büro und um mein Eigentum. [  …  ] durch den
Kriegszustand ist es doch möglich dass die Engländer und Franzosen in ihrem Konzes-
sionen deutschen Besitz beschlagnahmen, eventuell Deutschen den Zutritt in die Kon-
zessionen verwehren. Jedenfalls musste ich Alles was nur möglich ist vorkehren, und ich
muß immer bereit sein, wenn nötig, meine Büro und Lager aus den Konzessionen her-
auszuziehen. Unnötig früh will ich es aber auch nicht tun, denn der allergrößte Teil mei-
ner Arbeiten liegt ja innerhalb.« Deutlich zeigt sich, dass Rolf über die Lage in Europa
keine genauen Vorstellungen hat, als er erwähnt, dass beispielsweise Kohle nur schwer
zu bekommen sei und er hoffe, dass seine Schwester »solche Einschränkungen nicht zu
spüren« bekommt.
Erst viel später stellten sich die Umstände, die Rolfs neuerliche Europareise verhin-
derten, laut Informationen von Rolfs Sohn Franz als GlĂĽcksfall heraus: Rolf soll bei der
Gestapo auf einer Art »schwarzen Liste« gestanden sein, die seine sofortige Verhaftung
beim Grenzübertritt bewirkt hätte. Es wurde ihm nämlich zur Last gelegt, dass er im Zuge
der Annexion Ă–sterreichs durch das Deutsche Reich die Anordnungen der neuen, deut-
schen Machthaber in Tientsin nicht genĂĽgend unterstĂĽtzt habe, da er sich als Vizekonsul
noch immer dem österreichischen Kanzleramt unterstellt und verpflichtet gefühlt habe.
Hermine und die Kinder waren schlieĂźlich zu Weihnachten 1939 wieder wohlbehal-
ten in China angekommen. Während ihrer Abwesenheit haben Mausi und Franz kaum
Unterrichtsstunden, sondern vielmehr aufregende Ereignisse in ihrem Schulleben ver-
säumt: Infolge des Hochwassers war der Unterricht zunächst eingestellt worden, und
später wurden die Lehrer und Kinder auf Schulen in Peking bzw. Peitaiho aufgeteilt. Da
Rolf und Hermine niemals zugestimmt hätten, dass die Kinder für den Schulbesuch Ti-
entsin verlieĂźen, waren sie wahrscheinlich froh, dass durch deren Abwesenheit diese
Frage nicht aktuell geworden war. Rolf hatte jedenfalls bereits geplant, einen Privatun-
terricht zu organisieren, sollte die Schule in Tientsin noch geschlossen sein, wenn die
Kinder von der Europareise zurĂĽckkehrten.
Die politischen und militärischen Ereignisse sollten sich nun entscheidend auf das
weitere Leben von Rolf und seiner Familie in China auswirken. Während des Japanisch-
Chinesischen Krieges hatten sich die Vereinigten Staaten zunächst neutral verhalten.
Nach den sich häufenden Berichten über japanische Kriegsverbrechen unterstützten die
USA jedoch in zunehmendem MaĂźe China. Der Ăśberraschungsangriff der Japaner auf
die Pazifikflotte vor Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 bewirkte schlieĂźlich den offiziel-
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273