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Epilog 267
In Tianjin (  Tientsin  ) hatte man Rolf Geyling nicht vergessen. Nachdem die Gebäude
aller »ausländischen Architekten« vorerst mehr oder weniger dem Verfall preisgegeben
worden waren, setzten um 2000 umfangreiche Renovierungsarbeiten ein, im Zuge derer
auch etliche Häuser Rolfs restauriert wurden. Als im Jahr 2002 das »Modern Tianjin and
World Museum« gegründet wurde, erfuhr Rolf eine umfassende Würdigung, indem mit
tatkräftiger Unterstützung des Sohnes eine Abteilung ausschließlich Rolfs Wirken ge-
widmet wurde. Da beinahe sämtliche Pläne vernichtet wurden bzw. verloren gegangen
sind, sind allerdings vor allem Fotografien der Arbeiten zu sehen.
Der Mann, dessen verheißungsvoll begonnene Karriere in der österreichisch-un-
garischen Monarchie durch den Ersten Weltkrieg jäh unterbrochen wurde, der in an-
schließender russischer Gefangenschaft fünf Jahre von beinahe jeglicher Bautätigkeit
ausgeschlossen blieb, leistete im fernen China einen entscheidenden Beitrag zur städ-
tebaulichen Entwicklung von Tientsin und anderen Städten Nordchinas. Bemerkens-
wert ist die gestalterische Vielfalt, die Rolf in Laufe der Jahre entwickelte und die in der
Sammlung des »Modern Tianjin and World Museum« für den heutigen Betrachter be-
sonders augenscheinlich wird. Wenn erforderlich, griff Rolf durchaus auf das Repertoire
zurĂĽck, das die Stile der Vergangenheit in Europa hervorgebracht hatten. Seine Vorlie-
be galt jedoch modernen Herstellungsweisen und Formulierungen, die durch die neues-
ten Materialien, insbesondere den Stahlbeton, möglich geworden waren. Im Europa der
30er-Jahre des 20. Jahrhunderts hat die Entwicklung des Stahlbetonbaus zur Ausformu-
lierung des sogenannten »Internationalen Stils« geführt, der in eine relative Gleichför-
migkeit mĂĽndete. Rolf war im Gegensatz dazu bestrebt, jedem Bauwerk einen individu-
ellen Charakter zu verleihen. Die groĂźe Anzahl und die architektonische Variationsbreite
der Gebäude, die Rolf errichtete, sowie die Breite seiner Fähigkeiten, die von städtebau-
lichen Arbeiten bis zu Ingenieursleistungen reichten, machten ihn in China zu einem
der wichtigsten Vertreter der modernen Architektur in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Eine lebensechte BronzebĂĽste des Architekten, angefertigt von dem chinesischen
Bildhauer Liu Chin, zieht deshalb heute in der Ausstellung des »Modern Tianjin and
World Museum« die Blicke auf sich. (  Farbabb. 30  )
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273