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636 Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773)
bukolisches
Klagegedicht
von Biagi
Charakteristik
zeitgenössisches
Urteil sich ihren langen, windungsreichen Weg. Obschon langsamen Schritts, wird sie
doch endlich den Gipfel erreichen“).
Kurz nach Mitte des 18. Jhs. verfasste Giovanni Maria Biagi (vgl. hier S. 949),
damals Grammatiklehrer am Gymnasium von Rovereto, ein Trauergedicht in He-
xametern auf seinen Schüler Giacomo Saibante. Die kalligraphische Hs. BCR,
14. 8. 23, die den Text überliefert, war vielleicht ein Geschenk an die Familie des
Verstorbenen (übrigens eines Onkels des Clementino Vannetti). Das Werk gliedert
sich in eine Einleitung, welche die Entstehungsumstände angibt, und die ca. 140
Verse lange Ekloge Alexis, welche diese Umstände allegorisch reflektiert : In einem
Gespräch zwischen den Hirten Thyrsis und Meliboeus (Biagi) versucht jener, die-
sem den Grund für seine Trauer zu entlocken. Meliboeus erzählt nach einigem Wi-
derstreben vom Tod des Alexis (Giacomo), wünscht diesem, er möge die Freuden
des Paradieses genießen, und schnitzt schließlich zu seinem Gedenken ein Gedicht
in die Rinde einer Eiche. Der Alexis schließt mit dem Anbruch des Abends.
Die Ekloge ist formal, motivisch und sprachlich der antiken, v.a. der vergilischen
Bukolik verpflichtet und greift in ihrer Zweiteilung (Klage um den Toten – sein
Weiterleben im Himmel) insbesondere auf Verg. ecl. 5 zurück. Biagi reproduziert
aber nicht nur, was ihm seine Vorbilder bieten, sondern verfügt auch über beacht-
liche eigene Ressourcen. Sprachlich wie psychologisch bemerkenswert ist etwa die
Passage, in der Meliboeus, von Schluchzen geschüttelt, dreimal ansetzen muss, be-
vor er den Tod des Alexis aussprechen kann ([3]) :
Occidit (ah rea sors et inexorabile fatum),
Occidit (ecce nequit vox aegra erumpere ad auras !),
Occidit ante diem merita nec morte peremptus
Lumina sat longo clausit pulcherrima somno
Infelix (possum vix promere nomen) Alexis.
Gestorben (ach böses Geschick und unerbittliches Schicksal), gestorben (sieh, trotz aller
Mühe kann meine Stimme sich nicht Bahn brechen und ins Freie gelangen), gestorben ist
vor seiner Zeit und von unverdientem Tod hingerafft hat seine so schönen Augen zu langem
Schlafe geschlossen der unglückliche (kaum kann ich den Namen hervorbringen) Alexis.
Solche Passagen haben ihre Wirkung auf die zeitgenössischen Leser nicht verfehlt :
Schon Clementino Vannetti lobt im § IX seines sonst recht kritischen Nachrufs
auf Biagi (vgl. hier S. 949–950) den Alexis als „so mitleiderregend […], dass er fast
Tränen hervorruft, andererseits so elegant, so stimmig, so süß, dass er jener Ekloge
Vergils, in der Menalcas und Mopsus dem verstorbenen Daphnis ihren Tribut zol-
len [d.h. ecl. 5], sehr nahe zu kommen scheint“.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322