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Theater 675
bürgerliche
Antike statt
Christentum
Form und Stil
rächen und lässt sich den Schwur abnehmen, dass die Perser allein seinem Befehl folgen
werden. Die Boten sind entsetzt über den dreisten Verrat. Asietta überbringt einen Seher-
spruch, der sich auf Themistokles’ anstehendes Opfer an Minerva bezieht : Themistocles
det solus, et promptus Diis / Quam destinavit victimam. Tauri cruor / Graeco cruori mistus
aeternum decus / Themistocleo nomini et stirpi dabit. („Einzig Themistokles soll bereitwillig
den Göttern das Opfer bringen, das er gelobt hat. Das mit griechischem Blut vermischte
Stierblut wird dem Namen des Themistokles und seinen Nachkommen eine ewige Zierde
sein.“) Die Perser sind begeistert, die Griechen ungläubig. Themistokles geht ab, um das
Opfer zu vollziehen. Als er zurückkommt, wird er von Artaxerxes feierlich als Heerführer
investiert. Themistokles beschließt seine Rede mit den Worten Rex magne vive, Persia et
Graecia simul / Triumphet. Unus occidat Themistocles („Lebe hoch, großer König, Persien
und Griechenland mögen zusammen triumphieren. Einzig Themistokles soll fallen“) und
bricht zusammen. Olynthus kommt hinzu und berichtet, wie Themistokles das Stierblut
aufgefangen, mit Gift vermischt und getrunken habe. Der sterbende Held erklärt seine
Motive, erinnert die Perser an ihren Schwur, nur ihm zu folgen und ringt Artaxerxes das
Versprechen ab, nicht gegen Griechenland zu ziehen. Seine Vaterlandsliebe wird von persi-
scher und griechischer Seite bewundert.
Die Inhaltsangabe macht klar, dass das Christentum in diesem Stück überhaupt
keine Rolle spielt. Das zentrale Motiv des heroischen Selbstmords ist sogar dezidiert
unchristlich,16 was vom Autor in seinen Anmerkungen kurz angesprochen und sehr
leicht abgetan wird : Ein Konflikt mit dem christlichen Wertesystem besteht für
ihn nicht, weil das auf der Bühne dargestellte Geschehen historisch sei. Claus’ po-
etologischer Kommentar kreist um Aristoteles, Corneille und die Psychologie der
Charaktere, aber nicht um christliche Moral oder Ausdeutung. Dagegen sind fami-
liäre Beziehungen, das Vaterland, die Staatsraison und verschiedene Staatsmodelle
wichtige Themen. Die in bürgerlichen Kategorien gesehene Antike hat sich die
Jesuitenbühne erobert.
Der Themistocles ist psychologisch und dramaturgisch ungemein effizient. Der
griechische Sohn und die persische Tochter verkörpern gewissermaßen den Grund-
konflikt des Protagonisten und ermöglichen zahlreiche Situationen, in denen fa-
miliäre Privatheit und Staatsraison kollidieren (z.B. V,5 : Themistokles hört die Ar-
gumente seiner Kinder). Besonders die Szenen zwischen Vater und Tochter spielen
viele Register. Die Bedeutung Asiettas im Handlungsgefüge wird dadurch unterstri-
chen, dass ihr der letzte Satz des Dramas gehört, der die triumphale Heroik wieder
16 Vgl. Szarota 1981, 211–212 : „Nun kann man sich auf der Jesuitenbühne des 17. Jahrhunderts
kein Stück vorstellen, in welchem der Selbstmord – aus was für Gründen auch immer – glorifiziert
worden wäre. Man beginnt geradezu in griechischen Kategorien zu denken […].“
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322