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Theater 681
buchstäblich das Gegenteil : Es verließ den bei einem Neubau des Gymnasiums zu
klein geratenen Theatersaal, um seit 1721 im Hoftheater zu spielen, das Akteuren
und Publikum mehr Platz bot. 1727 beantragte der Rektor des Gymnasiums sogar
ein eigenes Komödienhaus für das Gymnasium (vgl. Lechner 1907–1914, 34–35 ;
Zwanowetz 1981, 117–120). Bezeichnend für den Zuspruch, den das Jesuitendrama
damals erhielt, sind einige Nachrichten davon, wie schwer das Publikum gebändigt
werden konnte. Bei einer Aufführung 1713 traten offenbar als Gag zwei als Säcke
verkleidete Ordnungsdiener auf, um es im Zaum zu halten. Zu 1729 schreiben die
jesuitischen Jahresberichte, dass acht Mann der BĂĽrgerwache bestellt worden seien,
um Ordnung unter den Zuschauern zu halten, sed maior fuit confusio quam unquam
alias („doch das Chaos war größer als je zuvor“ ; zitiert nach Lechner 1907–1914,
110). Aber nicht nur die Zahl der Zuschauer, auch jene der Schauspieler war be-
achtlich. Wie aus den syllabi actorum der Periochen ersichtlich, unterschritt sie bis
zur Mitte des 18. Jhs. selten 100. In einem Gratianus (Valentin 1, Nr. 5239) von
1738 traten gar 312 Akteure auf. Die schauspielerischen Möglichkeiten wurden
seit der Gründung der Universität 1669 durch den Einbezug von Studenten als
Darsteller erweitert. Musik, Tanz und andere Einlagen, die immer eine groĂźe Rolle
gespielt hatten, wurden stetig professionalisiert und verfeinert. Während z.B. die
gerade für Interludien beliebten Tänze und Kämpfe früher offensichtlich nur ama-
teurhaft einstudiert wurden, engagierte man im 18. Jh. regelmäßig die jeweiligen
Tanz- und Fechtmeister der Universität als Trainer (sie werden in den Periochen als
saltus magister bzw. instructor pugilum ausgewiesen). Die Komposition der Musik
lag spätestens seit 1663 oft in den Händen der jeweiligen Hofkapellmeister und an-
derer Größen wie z.B. Vigilius Faitelli, des Komponisten des königlichen Damen-
stiftes im benachbarten Hall. 1717 wurde erstmals zusätzlich zu den gewöhnlichen,
eine Inhaltsangabe enthaltenden Periochen der Text der gesungenen Partien (meist
Arien und Chöre) als eigenes Heftchen gedruckt und an die Zuschauer verteilt,
eine Praxis, die sich bis zum Ende des Jesuitentheaters hielt. Aus all dem ist zu
schließen, dass das späte Jesuitendrama in Innsbruck keineswegs im Verfall begrif-
fen war. Es hatte sich an die neue bĂĽrgerliche Umgebung hervorragend angepasst
und eine raffinierte Mischung aus Geschichtslektion, Theater und Oper gefunden.
Gleichzeitig darf man das Innsbrucker Beispiel nicht fĂĽr Tirol, Ă–sterreich, oder gar
die deutschsprachigen Länder verallgemeinern. Die zwei anderen Tiroler Jesuiten-
gymnasien in Hall und Trient machen die neuen Tendenzen des 18. Jhs. bei weitem
nicht so ausgeprägt mit und führen im Wesentlichen die bis zur Mitte des 17. Jhs.
herausgebildeten Muster weiter. Ob und wie diese Tendenzen in anderen Spielstät-
ten Österreichs, Deutschlands und der Schweiz greifen, können nur Einzelstudien
zum Spielprogramm der einschlägigen Orte zeigen. Das Innsbrucker Beispiel zeigt
jedenfalls, dass sich das Jesuitendrama nicht so einfach ĂĽber einen Kamm scheren
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322