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792 Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773)
humanistische
Tradition Das ist jener Brief, der, wie Johannes Bonifacius so schön sagt, seinen Stoff ohne Stoff
ausfĂĽhrt, der, obwohl er in fast nichts besteht auĂźer in einer leeren Vorgabe, dennoch mit
nichts eine Seite fĂĽllen muss, der, um es kurz zu sagen, den Heranwachsenden eine Qual,
den Erwachsenen eine Last und allen zusammen ein notwendiges Ăśbel ist. FĂĽr alle ĂĽbrigen
Briefe gibt es viele, von vielen Autoren verfasste Anleitungen : Mit diesem, der am meis-
ten einer bedarf, wird man alleingelassen. FĂĽr die ĂĽbrigen bieten alle Bibliotheken eine
Fülle von Musterbeispielen, von diesem gibt es, wenn man die guten auswählt, kaum eine
Handvoll. Bei den ĂĽbrigen ergibt sich zumindest der Stoff von selbst, bei diesem besteht
das einzige Rüstzeug in einem „Ich gratuliere“.
Der Anschluss an die humanistische Tradition wird nicht nur durch die explizite
Nennung von ebenfalls auf dem Gebiet der Epistolographie tätigen Vorbildern wie
Erasmus, Jean Voellus, Rochus Persinus, Antonius Possevinus und Justus Lipsius
(2) deutlich, sondern auch an der Gesamtkonzeption des Werkes : Neben Themen,
die auf das Verfassen des ins Auge gefassten Brieftyps zugeschnitten sind, wie Brief-
anfang (De exordio ; 19–34), die Formulierung von Komplimenten (De laudibus ;
43–58), Danksagungen (De gratiarum actione ; 59–66) oder mögliche Antworten
auf einen Glückwunschbrief (Quid responderi possit gratulantibus ; 66–74), behan-
deln die insgesamt 16 Abschnitte manchmal auch Fragestellungen, die sich auf eine
etwas allgemeinere Ebene heben lassen. Dies geschieht z.B. dann, wenn von der
Verwendung reinen Lat. (De pura Latinitate ; 98–129 ; vgl. Abb. 128), der Einbil-
dungskraft des Autors (De ingenio ; 151–162), der Schönheit des Briefes (De venus-
tate ; 162–185) oder der Rechtschreibung (Orthographia ; 185–213) die Rede ist.
Überhaupt ist das Anliegen Weitenauers kein rein technisches, lässt er doch durch-
blicken, dass seine Unterweisung im Briefeschreiben auch auf das gesellschaftliche
Auftreten des Lesers wirken soll und letzten Endes auch eine ethische Zielsetzung
verfolgt (18) :
Imo addam maius aliquid. Ars, de qua agimus, non ad scribendas tantum epistolas valet, quod
ipsum est utilitatis maximae, sed in omni urbano colloquio et imprimis gratulatione locum
habet. […] Est ergo ars placendi, ars vivendi, ars humanitatis : quam nemo tam erit barbarus,
ut odisse queat.
Ich will sogar etwas noch Wichtigeres hinzufĂĽgen : Die Kunst, von der wir sprechen, taugt
nicht nur zum Verfassen von Briefen, was schon an sich von größtem Nutzen ist, sondern
sie hat ihren Platz auch in jedem Gespräch unter zivilisierten Menschen, besonders beim
Gratulieren. Sie ist also die Kunst zu gefallen, zu leben und ein Mensch zu sein. Niemand
kann ein solcher Barbar sein, dass er sie hasst.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322