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Brief 795
(„Hirtenbriefe“) aus Gründen der allgemeinen Verständlichkeit eher der Volksspra-
che bedienten (vgl. CE 9, 204). Die inhaltliche Breite der in der Regel nicht von
den Bischöfen selbst, sondern von deren Kanzleibeamten verfassten Rundschreiben
ist beträchtlich. Zentral sind natürlich Fragen der Seelsorge, manchmal geht es auch
um administrative Belange. Theologische Themen fehlen ebenfalls nicht. Dass auch
die Bereiche Gesellschaft und Politik häufig berührt werden, sieht man sehr schön
an einer Sammlung von drei Rundbriefen, die der bischöfliche Kanzler Joseph An-
ton Bertinalli für seinen Trientner Herrn Cristoforo Sizzo (reg. 1762–1776) verfasst
hat.3 Im ersten Brief – er datiert vom 20. Februar 1767 – verleiht der Bischof seiner
Freude über ein neues Gesetz Ausdruck, nach dem jeder, der in Zukunft ein Ge-
werbe ausüben wolle, einen schriftlichen Nachweis zu erbringen habe, „aus dem
klar hervorgehe, dass er den Katechismusunterricht fleißig besucht habe und von
den Grundlagen des Glaubens in einem seinen Lebensverhältnissen und seinem
Stand angemessenen Maße durchdrungen sei“ (quo et sedulo cathechesibus inter-
fuisse et fidei rudimentis pro modulo et statu suo imbutum esse perspicue constaret).
Das deutschsprachige Formular, mittels dessen die Bestätigung von den kirchlichen
Behörden ausgestellt werden konnte, liegt dem Schreiben bei. Der auf den 17. Ap-
ril 1767 datierte zweite Brief enthält eine dieses Mal vom Bischof selbst erlassene
Verordnung, die all jenen eine drakonische „Strafe von hundert Talern für die Kir-
chenkasse“ (poenam talerorum centum fisco ecclesiastico applicandorum) androht, die
dabei ertappt werden, die Schrift Di una riforma d’Italia, ossia dei mezzi di riformare
i più cattivi costumi, e le più perniciose leggi d’Italia des im Schreiben selbst nicht ge-
nannten Trentiner Freigeists Carlantonio Pilati (vgl. hier S. 893) „entweder bei sich
zu haben, zu lesen oder anderen zur Lektüre vorzuschlagen“ (penes se habere, legere,
aut aliis legendum proponere). Das Werk, das letztlich auf dem Index landete, stieß
in der Kirche deshalb auf so großen Widerstand, weil es ihr die Hauptschuld an den
in Italien herrschenden Missständen gab. Noch brisanter aber dürfte der letzte Brief
gewesen sein : Er dokumentiert nämlich nicht nur den großen Druck, welchem die
kirchlichen Würdenträger durch die unter Maria Theresia einsetzenden und beim
Volk auf massive Ablehnung stoßenden Säkularisierungsbestrebungen ausgesetzt
waren, sondern zeigt auch, auf welche rhetorischen Strategien sie zurückgriffen, um
in diesem Interessenskonflikt zu bestehen. Der am 15. Februar 1772 ausgesandte
Brief nimmt Bezug auf einen Erlass zur Reduktion der Feiertage, den die Kaiserin
im vorhergehenden Jahr von Papst Clemens XIV. erwirkt hatte und der den Pfarren
vom Bischof bereits einmal – offenbar erfolglos – mitgeteilt worden war. Einer di-
3 Die Zusammenstellung findet sich im TLMF (Dip. 781). Die Bibliothek verfügt übrigens noch
über zwei weitere, separat aufgenommene lat. Beispiele von Sizzo. Bei einem von ihnen handelt es
sich um einen Hirtenbrief.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322