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Theologie und kirchliches Schrifttum 813
Glaube und
LebensfĂĽhrung :
sermo 83
Gnadenstreit
Wilten gegen die
Universität
gesehene Ansprache (sermo 65, S. 436–442), die auf Mt 22,14 Multi sunt vocati,
pauci vero electi („Viele sind gerufen, wenige jedoch erwählt“) basiert, baut bei der
Erklärung des Bibelwortes nicht in erster Linie auf Autoritäten, sondern versucht
die Hörer auf rationalem und empirischem Weg zu erreichen. In der Sache selbst
ortet Banholzer bei seinen Zeitgenossen Trägheit und Oberflächlichkeit, was auch
zur Veräußerlichung religiöser Praktiken führe – eine mit Blick auf die religiöse
Volkskultur der Barockzeit sicherlich berechtigte Feststellung.
In der für den fünften Fastensonntag konzipierten Predigt (sermo 83, S. 559–
565) geht Banholzer von Joh 8,46 Si veritatem dico vobis, quare non creditis mihi ?
(„Wenn ich euch die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht ?“) aus. Er diffe-
renziert hierbei prägnant zwischen „an Christus glauben“ und „Christus glauben“,
ein Unterschied, den er wie folgt erläutert : Christum credere est id credere, quod
est. Christo credere est id credere, quod dicit. (S. 560 ; „An Christus glauben heißt
glauben, dass es ihn gibt. Christus glauben heißt glauben, was er sagt.“) Bei vielen
Menschen, so Banholzer weiter, sei jedoch eine Diskrepanz zwischen verbalem Be-
kenntnis zum Glauben und täglicher Lebensführung zu beobachten. Der Glaube
solcher Personen könne nicht als echt anerkannt werden. Dass die Menschen in der
Moral eigene Wege gingen, sei umso paradoxer, als sie selbst in den schwierigsten
dogmatischen Fragen meist keine Probleme mit der Lehre der Kirche hätten. Die
Ansprache endet mit der Beobachtung, das genannte Phänomen bestehe bei vielen
Völkern Europas.
Gleich der schon angesprochenen Diskussion um den Probabilismus dem Be-
reich der Moraltheologie zuzuordnen ist eine weitere innerkatholische Kontrovers-
frage, in der Tiroler Autoren engagiert Stellung bezogen : der sogenannte Gnaden-
streit. Der spanische Jesuit Luis de Molina (1535–1600) hatte zwar die Mitwirkung
Gottes am menschlichen Handeln konzediert, dabei aber gleichzeitig die Freiheit
des menschlichen Willens stark hervorgehoben. Eine wichtige Rolle spielte dabei
die Vorstellung, Gott verfüge über eine scientia media („mittleres“ oder „vermitteln-
des Wissen“), welche die Zukunft nicht konditioniere und somit die menschliche
Willensfreiheit nicht beschneide. Molinas Lehre trat Dominikus Banez OP (1528–
1604) entgegen : Seiner Ansicht nach benötigt der Mensch für sein Handeln einen
AnstoĂź von auĂźen und tut in der Zeit das, was Gott in der Ewigkeit beschlossen
hat (Haidacher 1952, 40–41, 71 ; Coreth 1995, 16). Einen ähnlichen Standpunkt
wie Banez vertraten in der Folge die sogenannten Thomisten – ein Begriff, der über
direkte Nachfolger des Aquinaten hinaus generell Theologen bezeichnet, deren An-
sichten in der Frage nach Gottes Anteil am Wirken der Geschöpfe stark von denen
der Jesuiten abwichen (Coreth 1988, 397).
Im Jahr 1710 wurde im Stift Wilten von Casimir Grustner und Cajetan Franck
(s.u.) die, wie der Titel schon andeutet, pro-thomistische Schrift Innocentia prae-
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322