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820 Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773)
Schranzhofer,
Verbum
theologicum
Kirchentreue
Hexenstreit er sich gleichzeitig immer wieder auf Offenbarung und kirchliche Autorität beruft.
Damit gehört er zu jenen zahlreichen Theologen des 18. Jhs., deren Denken stark
epigonale Züge erkennen lässt (Grabmann 1933, 192). Beeindruckend sind jedoch
die Systematisierungsgabe des knapp 20-Jährigen und seine Fähigkeit zur knappen,
klaren und präzisen Formulierung.
Ebenfalls auf das ganze Fach Theologie bezogen, dabei aber wesentlich selektiver
und zugleich noch traditionsverhafteter als Primissers Abriss ist das Verbum theologi-
cum abbreviatum („Kurzgefasste theologische Darstellung“) des Rudolf Schranzho-
fer OFM, das 1769 in Bozen erschien. Schranzhofer (1725–1805), der seit 1751 im
Priesterstand bezeugt ist, wirkte im Bozner Franziskanerkloster als Lektor der Theo-
logie (Tovazzi, Nr. 375 ; Hurter 5, 645). Sein Werk, eine von Studenten bestrittene
Disputation, umfasst im Druck seinem Titel zum Trotz nicht weniger als 354 Seiten
und lässt einen in hohem Grade konservativen Gelehrten erkennen. Insgesamt 54
theoremata („Betrachtungen“) bieten eine Art Streifzug durch die Theologie, wobei
die Grenzen zwischen deren Subdisziplinen als flieĂźend erscheinen. Das Spektrum
der Themen reicht von der Exegese über die Beschäftigung mit einzelnen Gestalten
aus AT und NT, Gottesbeweise, die Dreifaltigkeit, die Prädestination, die Gnaden-
lehre, die Erlösungstat Christi und die Sakramente bis hin zur Rolle der Kirche. Ein
Schwerpunkt liegt auf Fragen der Dogmatik.
Beispielhaft lässt sich Schranzhofers Konservativismus anhand von theorema 41
(S. 247–254) demonstrieren, wo er, nicht ohne einen gewissen Hang zur Polemik,
doch mit der Bereitschaft, sich auch auf schwierige Schriftstellen einzulassen, als
kompromissloser Verfechter des kirchlichen Lehramtes und der Tradition auftritt
und sich damit insbesondere gegen Lutheraner und Calvinisten wendet. Inner-
halb der Kirche mĂĽssten klare Regeln erhalten bleiben : Nicht auf einzelne Glieder
komme es an, sondern auf qualifizierte Repräsentanten wie die Konzile oder den
Papst. Die Vernunft sei nicht der rechte Weg zur wahren Religion.
Während die Tiroler Theologen derart versuchten, ihre Position zwischen Ver-
nunftreligion und Kirchentreue zu bestimmen, gewann um die Mitte des Jahr-
hunderts ein Thema nochmals an Aktualität, von dem man das wohl nicht mehr
erwartet hätte : Rund 260 Jahre nach Ulrich Molitoris (vgl. hier S. 162) wurde in
Tirol erneut hitzig ĂĽber die Frage der Hexerei debattiert. Diese in drei Sprachen
(Lat., Deutsch, Italienisch) gefĂĽhrte Diskussion, in der neben Spannungen zwi-
schen Aufklärung und Katholizismus auch antijesuitische Tendenzen, konfessio-
nelle Gegensätze und italienisch-deutsche Animositäten eine Rolle spielten (Luzzi
2004b, 9–30), kann hier nicht im Detail nachgezeichnet werden. Nur ihre Anfangs-
phase sei als Hintergrund fĂĽr die Behandlung zweier bemerkenswerter lat. Schrif-
ten, die in diesem Zusammenhang entstanden, kurz skizziert : Die Zentralfigur der
Kontroverse war der Roveretaner Aufklärer Girolamo Tartarotti (vgl. hier S. 767).
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322