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Theologie und kirchliches Schrifttum 831
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Urtext
Evangelium und die Grundlage der anderen hält (heute gilt Markus als etwa ein
Jahrzehnt älter, vgl. LThK 6, 1481). Er stellt ihm eine ciceronianische Version zur
Seite, die er durch Einfügung von bei Matthäus ausgelassenen Elementen aus den
anderen Evangelien zugleich zu einem Monotessaron, einer Evangelienharmonie,
ausbaut (vgl. XII–XVI). Bei alldem erlegt er sich, um nicht ins Uferlose zu geraten,
strenge Einschränkungen auf und schließt zahlreiche Aspekte von der Behandlung
aus : Der mehrfache Schriftsinn wird ĂĽberhaupt nicht berĂĽhrt, chronologische, ge-
nealogische, geographische, grammatische und prosopographische Fragen bleiben
unbeantwortet, solange sie nicht der höheren Absicht der Biblia sacra dienen. Diese
besteht darin, dem Leser zu einem vertieftem Bibelverständnis zu verhelfen, ihn ge-
gebenenfalls bei der Vorbereitung seiner Predigten zu unterstĂĽtzen und ihm Waffen
gegen „Feinde der Wahrheit“, d.h. wohl in erster Linie Protestanten, in die Hand
zu geben (XIV).
Was die Biblia sacra zu einem eindrucksvollen Werk macht, sind Weitenauers
philologische Kompetenz, sein interpretatorischer Scharfblick und seine eigenen
Fähigkeiten als Schriftsteller und Latinist. Zwei kleine Beispiele mögen dies zum
Abschluss in nuce demonstrieren. Die Notwendigkeit, auf den Urtext zurĂĽckzuge-
hen, wird im Vorwort u.a. mit folgendem Exempel illustriert (VII) :
Luc. XXI 29 haec Domini verba legimus : „Videte ficulneam et omnes arbores : cum producunt
iam ex se fructum, scitis, quoniam prope est aestas.“ Siquis Vulgatae infensus aut a Christi
nomine alienus dictum hoc falsitatis arguat, eo quod arbores non appetente aestate, sed ea iam
adulta fructum proferant, in Latinitate sola adeo nihil erit praesidii, ut ipsa potius praesidio
egeat. Sed e fontibus responsum verum et solidum petam : Graecum probalosin non de solo
fructu dicitur, sed generatim significat protrudere, emittere. Quod etiam de flore ac germine
usurpatur. Clarius etiam Syriacum demophrein, pullulantes, rei praesenti succurrit. Tum ergo
prope est aestas, cum arbores inclinante iam vere pullulare incipiunt.
In Lk 21,29 lesen wir folgende Worte des Herren : „Seht den Feigenbaum und alle Bäume :
Wenn sie bereits aus sich Frucht hervorbringen, wisst ihr, dass der Sommer nah ist.“ Wenn
ein Feind der Vulgata oder jemand, der sich vom Namen Christi fern hält, diesen Aus-
spruch als unrichtig bezeichnen sollte, weil die Bäume nicht beim Nahen des Sommers,
sondern wenn dieser schon fortgeschritten ist, Frucht hervorbrächten, liegt im lat. Text so
sehr kein Schutz hiergegen, dass er vielmehr selbst des Schutzes bedarf. Aber aus den Quel-
len werde ich mir eine wahre und unumstößliche Antwort holen : Das griechische probalo-
sis bezieht sich nicht auf die Frucht allein, sondern bezeichnet generell das Hervorbringen
und Ausstrecken und wird auch von BlĂĽte und Spross gebraucht. Noch deutlicher kommt
das syrische demophrein, „ausschlagend“, der Sache, um die es geht, zur Hilfe. Dann also
ist der Sommer nahe, wenn die Bäume gegen Ende des Frühlings auszuschlagen beginnen.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322