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Philosophie und Naturwissenschaft 843
FlexibilitÀt der
philosophischen
Dissertation
vielschichtiges
Dokument
Bahn brach (vgl. Oeser 1992). Die zuvor entworfenen Theorien waren zwar viel-
fÀltig, gingen aber alle von einer Àhnlichen Grundannahme aus : In unterirdischen
Höhlen und KanÀlen befindet sich feurige oder wÀssrige Materie ; diese Materie ist
fĂŒr die Entstehung und Fortpflanzung von Winden, DĂ€mpfen, Wasser, Lava u.a.
verantwortlich, die sich ruckartig im unterirdischen Kanalsystem bewegen bzw. da-
raus ausbrechen und so eine ErschĂŒtterung der Erde bewirken. Aus diesem Grund
stellt sich Manincor z.B. vor, dass ein Erdbeben einen âSitzâ (sedes) hat, von dem
es sich in eine â und im Wesentlichen nur eine â Richtung ausbreitet. Der Begriff
eines Epizentrums und die Ausbreitung in konzentrischen Kreisen waren ihm noch
unbekannt.
Der Aufbau der Dissertation ist in seinem Grundschema reprÀsentativ. Wid-
mung, Vorrede, ein langer, aus einer Serie von quaestiones bestehender Hauptteil,
ein kurzer Anhang von Thesen fĂŒr die mĂŒndliche Disputation, ein Gratulations-
gedicht am Ende : das findet sich in den meisten Dissertationen dieser Zeit. An-
dererseits ist der Inhalt von einem ungewöhnlich hohen Anteil zeitgeschichtlicher
BezĂŒge geprĂ€gt, und Manincors individuelle Bearbeitung des Themas Erdbeben
beweist die FlexibilitÀt des Genres der philosophischen Dissertation, das sich letzt-
lich nicht auf âtypischeâ Inhalte reduzieren lĂ€sst. Vielleicht lĂ€sst sich das vorliegende
Werk am besten als eine Kreuzung von philosophischer Dissertation und jener Art
von âKatastrophenliteraturâ ansprechen, die nach dem zerstörerischen Wirken von
Naturgewalten öfter auftritt â man vergleiche wieder das Erdbeben von Lissabon
1755 (s.u.) und seine Rezeption im intellektuellen Diskurs der Zeit.
Der besondere Charakter von Manincors Abhandlung macht sie zu einem mehr-
schichtigen Dokument, das nicht nur wissenschaftshistorisches, sondern auch all-
gemein geschichtliches und literaturgeschichtliches Interesse beanspruchen kann.
So erfahren wir z.B. viel ĂŒber die UmstĂ€nde des Bebens, indem prĂ€zise Angaben zur
zeitlichen Erstreckung und zur Frequenz der Beben gemacht werden.7 DarĂŒber hi-
naus hat die Dissertation stellenweise auch den Charakter eines Augenzeugen- bzw.
Erlebnisberichts, was sich formal im Hervortreten eines Ich-ErzĂ€hlers Ă€uĂert, bei-
spielsweise anlÀsslich der Frage, in welche Richtung sich das Erdbeben ausgebreitet
hat (§ 2, S. 4) :
7 Zur Dauer (S. 13) : Starke ErschĂŒtterungen gab es vom 17. Juli bis zum 22. November 1670 ;
leichtere von diesem Zeitpunkt bis zum 22. Dezember ; dann trat eine Ruhephase ein, die bis zum
15. Januar 1671 anhielt. Danach wurden bis zur Niederschrift der Dissertation in Hall ĂŒber 300
kleinere ErschĂŒtterungen registriert. Ein guter Teil davon war auch in Innsbruck zu verspĂŒren,
namentlich 15 besonders auffĂ€llige ErdstöĂe. Zur Frequenz (S. 7) : Nach dem ersten Beben gab es
ĂŒber drei Wochen lang tĂ€glich neue ErschĂŒtterungen ; allein in der auf das Hauptbeben vom 17. Juli
folgenden Nacht wurden 22 StöĂe gezĂ€hlt.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Ć ubariÄ
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der GrĂŒndung der UniversitĂ€t bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Ć ubariÄ) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Ć ubariÄ/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Ć ubariÄ) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂŒrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322