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852 Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773)
philosophie-
geschichtliche
Charakteristik (scientia) mit dem Unveränderlichen und Ewigen beschäftigt, was ebenfalls nur Gott sein
kann ; oder aus der axiomatischen Gegebenheit von Sätzen des Verstandes und der Mo-
ral, die in Gott begründet sein müssen. Das dritte Kapitel (87–128) erläutert die zuletzt
genannten Gedanken ausfĂĽhrlicher und konzentriert sich insbesondere auf eine Darstel-
lung Gottes als inneren Lehrmeister (magister) : Nur Gott kann dem Geist eigentliches,
d.h. durch die objektive Vernunft gesichertes, Wissen bringen. Äußere Lehre durch einen
menschlichen Lehrer ist im strengen Sinn nicht möglich, sondern nur insofern, als dieser
zum eigentlichen Licht der Erkenntnis hinführen kann. Die Kap. 4–7 (129–338) unter-
mauern die entwickelte Theorie durch Beweise aus der Heiligen Schrift, den Kirchenvätern
und –lehrern sowie aus Vernunftgründen, bringen aber keine wesentlich neuen Inhalte.
Das achte Kapitel (339–448) entwickelt einige weiterführende Gedanken und Präzisie-
rungen zum Gottesbegriff als Licht der Erkenntnis und innerem Lehrmeister : Einzig Gott
kann den menschlichen Geist vernunftgemäß bewegen ; Gott ist das a priori des Geistes
vor allem menschlichen Zutun ; er kann deshalb auch intuitiv erkannt werden ; Gott ist der
Grund und die Maßregel aller Geistestätigkeit und deshalb implizit in allen unseren Er-
kenntnissen, Definitionen, Urteilen usw. enthalten ; Gott wirkt damit doppelt im Prozess
der menschlichen Erkenntnis : einerseits als causa prima („erste Ursache“), von der alles
Sein ausgeht, andererseits als Maßregel der Erkenntnis, nach der ihre Aktivität strukturiert
ist ; jeder Mensch hat „im geheimen Gemach seine Geistes“ (in secreto cubili mentis) ein
„geheimes Orakel“ (secretum oraculum), das dem, der die richtigen Fragen stellt und genau
zuhört, unfehlbare und wahre Antworten über die Beschaffenheit der Welt gibt. Auf eine
Charakteristik der Verteidigung von Iuvenalis’ Lehre gegen mögliche Einwände, die im
neunten Kapitel (449–488) gegeben wird, sei hier verzichtet. Die zwei in der Appendix
gegebenen kurzen Dialoge (489–516) greifen den in der vorausgegangenen Abhandlung
diskutierten Lehrinhalt nur am Rande auf. Sie inszenieren die Bekehrung zweier notorisch
ungläubiger Personen, eines agnostischen, dem unbekannten Gott (ignotus deus) huldigen-
den Atheners, und eines atheistischen Sadduzäers.
Iuvenalis’ Erkenntnistheorie baut auf der christlichen Illuminationslehre auf, wie
sie von Augustinus geprägt und namentlich von Bonaventura, dem von den Ka-
puzinern besonders geschätzten „seraphischen“ Lehrer, übernommen wurde (vgl.
HWdPh 2, 716–717 ; 4, 583). Illumination ist demnach eine apriorische Seins-
verfassung der menschlichen Erkenntnis ; Gott ist als Licht der Ideen des Seins
im menschlichen Geist gegenwärtig und so gleichzeitig Grund und Maß wahrer
Erkenntnis. Der Mensch ist damit nicht vom Sein und seiner Erkenntnis getrennt
(wie es z.B. in den apriorischen Verstandeskategorien Kants der Fall ist), sondern
durch die Objektivität des Lichtes Gottes gerade mit ihnen verbunden. Wenn seine
Erkenntnis trotzdem manchmal getrĂĽbt ist, so ist das einzig und allein auf mensch-
liche Schwächen wie Affekte, Phantasterei oder Trägheit zurückzuführen. Iuvenalis’
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322