Page - 864 - in TYROLIS LATINA - Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Image of the Page - 864 -
Text of the Page - 864 -
864 Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773)
Stil Am Beginn der Schrift zeichnet der Verfasser ein recht dĂĽsteres Bild vom allgemeinen Ge-
sundheitszustand der Gelehrten : Nec invenies ex tota morborum caterva unum, qui litteratos
non exercet. (Bl. A2v ; „Du wirst in der ganzen Schar der Krankheiten nicht eine finden,
welche die Gelehrten nicht plagt.“) Anschließend erklärt Payr, weshalb diätetische Maß-
nahmen chirurgischen und pharmazeutischen vorzuziehen seien. Als eine der Hauptursa-
chen für die Kränklichkeit von Gelehrten führt der Arzt Verdauungsprobleme, resultierend
aus dem langen Sitzen, an. Unmittelbare Folge davon sei, dass sich ein RĂĽckstau bilde,
welcher auch Leber und Galle beeinträchtige, weshalb diese Organe keine Verdauungs-
säfte ausschütten könnten. Darum litten viele Gelehrte wiederum an Koliken. Nach dieser
und anderen analytischen Grundüberlegungen führt der Arzt seine Therapievorschläge
an : Wichtig sei, dass die Gelehrten genug schliefen und zwar v.a. in der Nacht ; dass die
nächtliche Betriebsamkeit bei Gelehrten nicht nur einem Topos entsprach, ist vielfach in
der Gelehrtenliteratur nachzulesen. Als Vorbeugemaßnahmen empfiehlt Payr zunächst ein
gemäßigtes und trockenes Klima sowie eine nach den Jahreszeiten ausgerichtete Ernäh-
rung : Bei Hitze solle man mehr trinken als essen, bei Kälte verhalte es sich umgekehrt. Zu
meiden seien auf jeden Fall Nahrungsmittel mit starkem Geschmack oder ausgeprägtem
Geruch. Als Getränk wird Wasser empfohlen, aber auch Wein, solange er nicht zu stark
sei. Abgeraten wird von Kaffee, Tee und Kakao. Aufpassen mĂĽssten Gelehrte v.a. bei der
körperlichen Ertüchtigung : Motus corporalis excessus […] litteraturam non parum destruit.
(Bl. D3r ; „Zu starke körperliche Bewegung […] beeinträchtigt die Tätigkeit der Gelehrten
nicht wenig.“) Sport solle nur morgens betrieben werden und auch nur so, dass man nicht
ins Schwitzen gerate. Payrs Ratschlag für eine sinnvolle körperliche Betätigung während
des Studiums, Lesens oder Schreibens lautet ĂĽberraschenderweise : laut lesen. Dies habe
sich im Laufe der Jahrhunderte bei vielen Mönchen anlässlich des Chorgebets bewährt.
Neben einer Vielzahl von stimmigen Hinweisen und Ratschlägen finden sich auch verein-
zelte MutmaĂźungen, welche die Grenzen des damaligen medizinischen Wissens aufzeigen.
So rät Payr etwa im Fall von Schleimfluss aus der Nase, diesen nicht auszuschnäuzen, und
zwar mit einer recht abenteuerlichen BegrĂĽndung : Pariter de excretione narium, quae si
serosa et tenuis est retinenda, cerebrum enim eius excretione siccatur. (Bl. E2r ; „Ebenso verhält
es sich mit Ausscheidungen der Nase ; sind diese wässrig und dünn, sollten sie nicht ausge-
schnäuzt werden, denn dadurch wird das Hirn ausgetrocknet.“)
Die Schrift erinnert sachlich in vielerlei Hinsicht an die diätetischen Teile der me-
dizinischen Gutachten für Erzherzog Ferdinand II. (vgl. hier S. 362–368). Dass
Payr jedoch ein gebildetes Lesepublikum erwartet, zeigt sich an seinen mehrfachen
Entschuldigungen hinsichtlich angeblicher stilistischer Unzulänglichkeiten (Nulla
enim mihi aurium, sed animi cura est, Bl. A3r ; „Mir geht es nämlich nicht um die
Ohren, sondern um den Geist.“), welche sich aber immer wieder als Aufhänger ent-
puppen, um das hervorragende literarische GespĂĽr des Verfassers zu betonen. Zur
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322