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Rechtswissenschaft 877
Prozessliteratur
Giovanelli,
Defensa pro
Dominico Slop
ner Appendix anlässlich der Naturrechtsdiskussion), dann die Kanonistik behan-
delt. Den Schluss machen weitere kirchenrechtliche Schriften aus Klöstern und
Akademien sowie aus dem Raum Trient, wo man das kanonische Recht besonders
hingebungsvoll pflegte.
Prozessschriften hatte es schon seit langer Zeit gegeben (vgl. hier S. 209–212),
doch nun begannen Juristen vermehrt, ihre einschlägigen Beiträge zu publizie-
ren, nicht zuletzt deshalb, weil sie sich hiervon einen Prestigezuwachs erhofften
(vgl. Ascheri 1976, 1167). Die resultierende Zunahme der forensisch-kasuistischen
Literatur, zu der neben Konsilien und Gerichtsentscheiden (sententiae, observa-
tiones) auch Schriftsätze von Anwälten, sogenannte Allegationen, zählen, spiegelt
den Bedeutungszuwachs wider, den die Gerichtspraxis damals erfuhr. Die folgende
Auswahl legt den Schwerpunkt auf die Allegationen, die in der Regel versuchten,
die Argumente der Gegenseite mit allen, auch den undenkbarsten, Argumenten
zu entkräften, und diese oft in einem sehr emotionalen Stil vortrugen (Holthoefer
1969, 139–142, 158–163 ; Ascheri 1976, 1113–1221 ; vgl. aber Oestmann 2001,
30–32).
Ein sehr fleiĂźiger Anwalt war Antonio Giovanelli (†Â
1784), der nach der Abreise
Carlantonio Pilatis (vgl. hier S. 893) aus Trient 1767 dort fĂĽr ein Jahr die Professur
der Institutionen bekleidete. Zuvor war er Vikar in Tione und Kommissar von Per-
gine gewesen. Später wurde er Beisitzer im Domkapitel von Trient (Tovazzi, Famili-
arium, Nr. 35,6 ; Tovazzi, Nr. 278). Von seinen Verteidigungsschriften, die sich v.a.
auf Kriminalprozesse bezogen, wurden viele gedruckt. Hier sei kurz die Defensa pro
Dominico Slop in causa cambii ad avertendam actionem criminalem („Verteidigung
fĂĽr Dominik Slop in einer Wechselsache zur Vermeidung einer strafrechtlichen
Anklage“) vorgestellt, die an nicht mehr eruierbarer Stelle, offenbar als Teil eines
Sammelbandes, gedruckt wurde und sich im TLMF Dip. 788/2 erhalten hat. Der
Angeklagte war wegen Wuchers verurteilt worden, weil er angeblich eine gewisse
Josepha Tomesi mit einem Wechsel betrogen hatte.
Die im Zuge der Berufung verfasste Schrift zitiert zu Beginn das Urteil (85–86), welches
Giovanelli sofort wegen der seines Erachtens nicht gesetzlich gedeckten Anklage und der
mangelhaften BegrĂĽndung angreift. AnschlieĂźend versucht er zu beweisen, dass keines der
Tatbestandsmerkmale für Wechselbetrug (Vorsatz, Schutzwürdigkeit der Klägerin, großer
Betrag) zutrifft. Bei der Aufzählung der verschiedenen Gesichtspunkte, die gegen das Ur-
teil ins Treffen geführt werden, lässt Giovanelli kein mögliches Argument aus, um seinen
Klienten zu verteidigen (86–97). Breiten Raum nimmt dabei eine Invektive gegen die Klä-
gerin ein, die als betrügerische und hinterlistige Geschäftsfrau porträtiert wird, was Giova-
nelli durch zahlreiche Zeugenaussagen zu untermauern sucht (88–91). Am Ende steht der
Angeklagte Slop gar als der Geschädigte da, da Frau Tomesi versucht habe, ihre Zahlung,
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322