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994 Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848
ad Orazio (Rovereto 1792). Wenden wir uns als Beispiel der Martial-Epistel zu !
Der an die 100 Druckseiten lange Text steht natĂŒrlich in der Tradition lĂ€ngerer
wissenschaftlicher Traktate in Briefform. Aufgrund seines klassischen Sujets ist er
gleichzeitig aber auch ein schönes Beispiel fĂŒr den Humanistenbrief bzw. fĂŒr die
LĂ€nge, die dieser unter bestimmten Voraussetzungen erreichen konnte. Der Anlass
fĂŒr das Schreiben war folgender : Vannetti hatte sich â ĂŒber den aus dem Trentino
stammenden Mathematiker Gianfrancesco Malfatti als Mittelsmann â danach er-
kundigt, wie der bekannte spanische Jesuit TomĂĄs Serrano das Urteil aufgenom-
men hatte, das der von ihm selbst hochgeschÀtzte Girolamo Tiraboschi in seiner
13-bÀndigen italienischen Literaturgeschichte Storia della letteratura italiana (Mo-
dena 1772â1782) ĂŒber Serranos âLandsmannâ Martial gefĂ€llt hatte. Der Spanier
reagierte mit einem Schreiben an Vannetti, in dem er Tiraboschis eher negative
Darstellung zu entkrÀften versuchte. Dies motivierte den Gelehrten aus Rovereto
seinerseits dazu, Tiraboschis Position in einem viel lÀngeren Brief zu verteidigen.
Seine Argumentation bietet uns wertvolle Einblicke in die Art, wie man in der
zweiten HĂ€lfte des 18. Jhs. ĂŒber Literaturgeschichte diskutierte : Sie dokumentiert
nicht nur die immer noch verbreitete GĂŒltigkeit klassizistischer Ideale, sondern
nimmt in der Kritik am âspanischenâ Martial bereits nationalistische Tendenzen
vorweg. Ebenfalls auffÀllig ist, dass hÀufig von einer wirkungsÀsthetischen Warte
aus geurteilt wird (236) :
Tu interea pergis ac Tiraboschium ignorantiae arguis, quod dixerit toto saeculo XVI. Martialem
apud Italos nullo in honore fuisse. Quam quidem sententiam vide, ne tu paulo durius converte-
ris, quam ab eo est elata. Illud enim Horatii ânec verbum verbo curabis reddere fidus interpresâ
ibi demum quadrat, ubi neque interpres ullam habet supicionem, neque is, cuius verba vertun-
tur, in invidiam ob dictum vocari potest. Si igitur diligentius Tiraboschium inspexeris, videbis
eum non quidem plane nullo in honore Martialem eo saeculuo fuisse dicere, sed exiguo vixque
dignum habitum, qui cum Catullo conferretur [âŠ]. Quae ita elata quanto mitiora sint, vides.
Nam ego quidem hoc ipsum isti poetae honorificum arbitror, quod cuiquam in mentem venerit
dubitare, an posset cum Catullo comparari.
Du fÀhrst indessen fort und beschuldigst Tiraboschi der Ignoranz, weil er behauptet habe,
dass Martial wÀhrend des ganzen 16. Jhs. in Italien keinerlei WertschÀtzung genossen habe.
Sieh dich aber vor, dass du dieses Urteil nicht ein wenig hÀrter wiedergibst, als er es formu-
liert hatte. Denn jenes berĂŒhmte Wort des Horaz âund wenn du etwas treu wiedergibst,
brauchst du es nicht wortwörtlich zu ĂŒbernehmenâ passt nur dort, wo der Ăbersetzer kei-
nen Argwohn erregt, und der, dessen Worte wiedergegeben werden, wegen des Gesagten
keinen Hass hervorrufen kann. Wenn du dir den Tiraboschi also sorgfÀltiger anschaust,
wirst du sehen, dass er nicht behauptet, dass Martial in besagtem Jahrhundert gar keine
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Ć ubariÄ
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der GrĂŒndung der UniversitĂ€t bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Ć ubariÄ) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Ć ubariÄ/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Ć ubariÄ) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂŒrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322