Page - 996 - in TYROLIS LATINA - Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Image of the Page - 996 -
Text of the Page - 996 -
996 Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848
rhetorische
Strategie noch aus einem anderen Grund von Interesse : Die Briefe legen Zeugnis von den
unsicheren Zeiten ab, in denen sie entstanden sind, denn der Kanzler Peter Joseph
Cloch verfasste sie nicht im Namen des damaligen Trientner Bischofs Emanuele
Maria Thun. Diesen hatten die Bayern nämlich wegen seines Widerstands gegen
ihre kirchenfeindlichen Maßnahmen 1807 ins Exil geschickt und seine Geschäfte
dem linientreuen Johannes Franz Graf von Spaur übertragen, den sie zu diesem
Zweck zum Generalvikar ernannt hatten (vgl. Gelmi 2001, 272). Nach einigem
Hin und Her wurde dieser durch Thun in seinem Amt zwar bestätigt, blieb aber
stets Marionette der Bayern und stand hinsichtlich seiner – in den Augen von Volk
und Klerus usurpierten – Stellung unter stetem Rechtfertigungszwang. Vor diesem
Hintergrund sind auch die Rundbriefe zu sehen, die er an die Geistlichkeit seiner
Diözese aussandte und als deren Unterzeichner er in die Rolle des eigentlichen
Bischofs schlüpfen konnte. Betrachten wir kurz das Schreiben vom 6. April 1809,
das bereits von der düsteren Atmosphäre überschattet wird, die in der unmittelbar
darauffolgenden Woche in Innsbruck zur ersten offenen Revolte gegen die Bayern
und zur ersten Bergiselschlacht führen sollte. Es beginnt folgendermaßen (13) :
Quum praesens politicarum rerum status eiusmodi sit, ut novum inter Galliarum Imperium ei-
usque confoederatos ex una parte et Imperium Austriacum ex alia bellum iam imminens ac fere
inevitabile videatur, varia sunt eademque gravissimi momenti, quae pro populi nobis commissi
spirituali et temporali salute in tanto discrimine tuenda vobis paterne inculcare muneris nostri
gravitate compellimur.
Da die gegenwärtige politische Situation von der Art ist, dass ein neuer Krieg zwischen
Frankreich und seinen Verbündeten auf der einen Seite und Österreich auf der anderen
unmittelbar bevorzustehen, ja unvermeidbar zu sein scheint, gibt es verschiedene und be-
sonders dringende Dinge, die ich euch – das Gewicht meines Amtes zwingt mich dazu –
wie ein Vater nachdrücklich einschärfen muss, wenn wir das geistliche und weltliche Heil
des uns anvertrauten Volkes in einer so großen Gefahr bewahren wollen.
Im Sinne einer captatio benevolentiae versucht Spaur von Beginn an Gemeinschaft
zu stiften : Er selbst steht wie ein Vater (paterne) zu den Adressaten, mit ihnen zu-
sammen wacht er über das in ihrer beider Schutz (nobis) gestellte (commissi) Volk.
Der bischöfliche Fürsorgejargon zieht sich durch den ganzen Brief und etabliert den
Generalvikar nicht nur in seiner Eigenschaft als Absender des Briefes, sondern auch
sprachlich als vollwertigen Ersatz für den exilierten Bischof. Interessant wird diese
Strategie besonders dort, wo sie mit dem Versuch einhergeht, für den Fall eines
Sieges der Gegenpartei Vorsichtsmaßnahmen für die eigene Situation zu treffen.
Spaur bereitet diesen Schwenk unmittelbar nach der oben zitierten Einleitung vor,
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322