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1012 Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848
Vernunft im
Dienst der
Offenbarung
Liebe statt Gesetz
Gnade Stapfs wichtigstes Anliegen in der Theologia moralis ist es, sein Fach aus der da-
maligen Gebundenheit an die Zeitphilosophie zu lösen, es also nicht aus der na-
türlichen Vernunft mit ihrer autonomen Ethik zu begründen. Aus dieser Haltung
heraus wendet er sich gegen Hermesianismus und Güntherianismus, theologische
Schulen, die gerade eine tiefere Durchdringung des christlichen Offenbarungsgu-
tes mithilfe der zeitgenössischen Philosophie erstrebten (Albs 1941, 35–36 ; HdK
6,1, 448–456). An Kants Ethik stört ihn der Rigorismus, der dem Gedanken der
Freiwilligkeit keinen Raum gewähre, der Deutsche Idealismus erscheint ihm als
pantheistischer Rationalismus, der mit der absoluten Freiheit und Unabhängigkeit
Gottes unvereinbar sei. Er selbst weist der Vernunft nur eine dienende Rolle zu :
Sie könne nicht denselben Stellenwert haben wie die Offenbarung, sondern sei
dieser untergeordnet. Ihre Aufgabe bestehe darin, das Offenbarungsgut in seinem
Inhalt zu erfassen und auf die Erfordernisse des menschlichen Lebens anzuwenden
(Albs 1941, 120–123). Diese ihre praktische Notwendigkeit betont Stapf, indem
er Christus selbst als Zeugen anführt : Christus ipse frequenter ad dictamen sanae
rationis provocat, e.g. utrum sabbato hominem sanare liceat etc. (Bd. 1, 64 ; „Christus
selbst beruft sich häufig auf die Forderungen der gesunden Vernunft, z.B. in der
Frage, ob man am Sabbat einen Menschen heilen dürfe usw.“)
Als Prinzip des sittlichen Lebens hält Stapf die caritas („christliche Liebe“) für
ungleich wichtiger als Gesetz und Pflicht. Ihre Umdeutung in bloße Achtung vor
dem Sittengesetz weist er zurück ; vielmehr bestimmt er sie positiv als Grundakt
der Seele, der die Menschen mit Gott verbinde und die menschliche Gemeinschaft
zu einem lebendigen Organismus gestalte. Im Menschen des Paradieses habe sie in
vollendeter Form bestanden, d.h. als gänzliche Übereinstimmung des Herzens mit
dem göttlichen Willen. Im erbsündlich gewordenen Menschen sei sie das ständige
Bemühen um die Wiederherstellung dieses Zustandes. Hieraus leitet Stapf ihre zwei
Hauptziele ab : Sie solle die Triebe zügeln und die superbia („Hochmut“) überwin-
den, durch die der Mensch sich selbst als Endzweck setze. Erbsünde und Erlösung
durch Christus werden dabei stärker akzentuiert als die sittlichen Anlagen des Men-
schen (Albs 1941, 44, 83, 126, 130).
Entsprechend große Bedeutung komme der Gnade zu, durch die der sündig
gewordene Mensch mit Gott wiedervereinigt werde. Dabei betont Stapf im Sinne
der kirchlichen Lehrtradition den Unterschied zwischen heiligmachender und
helfender Gnade : Jene sei Teilhabe am göttlichen Leben Christi, worin die Würde
des christlichen Menschen liege ; seine Einzelhandlungen seien so schon wurzel-
haft geheiligt. Die helfende Gnade sei notwendig, weil die sittlichen Kräfte eines
übernatürlichen Prinzips bedürften. Auf diese Weise wird die Nachfolge Christi
für Stapf zum umfassenden Inhalt des christlichen Lebens (Albs 1941, 80–86,
107–108).
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322