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Theologie 1019
das NT keine
Dogmatik
Unterkirchers Argumentation ist stets durchdacht, differenziert und schlĂĽssig.
Sie demonstriert anschaulich, auf welch hohem theoretischen Niveau die Bibel-
wissenschaft in der ersten Hälfte des 19. Jhs. betrieben und gelehrt wurde. Hier sei
nur ein Aspekt herausgegriffen, auf den Unterkircher schon in der Einleitung als
neu und potenziell anstößig hinweist, nämlich seine Ausführungen zur Intention
(consilium) der Heiligen Schrift, v.a. des NT. Die betreffenden Paragraphen (§§
116–125) sind insofern höchst bemerkenswert, als sie in konsequenter historisch-
philologischer Analyse das protestantische sola scriptura-Prinzip aushebeln und die
Autorität der kirchlichen Lehrtradition begründen : Um mit den Protestanten die
Schrift zur alleinigen Grundlage des Glaubens zu machen, so Unterkircher, muss
man wie sie im NT ein vollständiges Dogmengebäude (systema dogmatum) des
Christentums sehen – etwas, das es nicht ist und nicht sein will (§ 118). Das NT ist
kein Lehrbuch, sondern möchte nur Informationen zum Ursprung des Christen-
tums und zur Gründung der Kirche sowie erbauliche Geschichten bieten (§ 125).
Diese These wird mit einer Reihe von Argumenten untermauert : Das NT selbst
verweist wiederholt auf eine ihm vorausliegende mĂĽndliche Lehrtradition, die den
Ursprung der kirchlichen Tradition darstellt (§ 120). Seine Bestandteile sind als
Gelegenheitsschriften (scripta occasionalia) gedacht ; als Lehrgebäude wären sie in
ihrer Heterogenität und Situationsgebundenheit absurd (§ 121). Das wird noch
klarer, wenn man Anlage und Thema der einzelnen Schriften betrachtet (§ 122).
Und hätte Gott in einer Zeit, in der die meisten Menschen Analphabeten waren,
seine Lehre Büchern anvertrauen sollen (§ 123) ?
Qui Deum ipsum religionis et Ecclesiae Christianae auctorem venerantur, non possunt aliam
dispositionem ad conservationem religionis et Ecclesiae a divino auctore exspectare quam
talem, quae convenit cum conditione hominum, qui ad illam vocati sunt quique secure et
sincere scire volunt, quid ipsis sit credendum et agendum. – Iam vero Biblia sola in sensu aca-
tholicorum fidelibus tradita ad hunc finem prorsus inepta esse etiam ex conditione hominum
liquet, qui quoad maiorem partem neque linguam vernaculam legere sciunt, quos tamen
Dominus non minus quam litteratos et philosophos ad religionem suam et salutem aeternam
vocavit.
Diejenigen, die Gott selbst als Urheber der Religion und der christlichen Kirche vereh-
ren, können vom göttlichen Urheber keine anderen Vorkehrungen zur Bewahrung von
Religion und Kirche erwarten als solche, die zur Lage der Menschen passen, die zu jener
gerufen sind und die sicher und unverfälscht wissen wollen, was sie glauben und tun müs-
sen. – Doch dass die Bibel, die nach Ansicht der Unkatholischen den Gläubigen als Einzi-
ges übergeben ist, zu diesem Zweck schlichtweg eine Torheit wäre, das wird auch aus der
[damaligen] Lage der Menschen klar, die größtenteils nicht einmal die Volkssprache lesen
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322