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Theologie 1021
Bergpredigt
[…] dem damals um sich greifenden Neuerungsfieber hüten“). Der Titel Praelectio-
nes weist, wie Scheth erklärt, nicht auf einen Zusammenhang mit dem Lehrbetrieb
im engeren Sinne hin, sondern nur darauf, dass er sich primär an Lernende, v.a.
an angehende Seelsorger wendet (XXII). In der Approbation durch das Brixner
Konsistorium wird das Werk neben Geistlichen auch gebildeten Laien empfohlen.
Dementsprechend erheben Scheths Erläuterungen bei aller Ausführlichkeit nicht
den Anspruch, den Text im eigentlichen Sinne zu interpretieren, sondern nur den,
ein gewisses Grundverständnis zu sichern. Dass seine Wahl unter den Evangelien
gerade auf Matthäus fiel, mag mit der besonderen Bedeutung zusammenhängen,
welche die kirchliche Tradition diesem zuschrieb (vgl. hier S. 830–831).
Als Beispiele fĂĽr Scheths Art, den Text zu kommentieren, seien im Folgenden
einige seiner Anmerkungen zum Beginn der Bergpredigt (Mt 5–7) referiert. Zu-
nächst geht es ihm um eine gründliche Kontextualisierung der Predigt : Er erinnert
zu Mt 5,1 an die vorhergehenden Ereignisse aus dem Leben Jesu und weist auf
später berichtete Wunder hin. Großes Interesse zeigt er am semantischen Spektrum
einzelner Begriffe, etwa wenn er paupertas („Armut“) einerseits als Benachteiligung
im weitesten Sinne, andererseits als Offenheit fĂĽr die Lehre deutet (zu Mt 5,3)
oder Gerechtigkeit nicht nur juristisch, sondern auch sittlich versteht, indem er
sie mit probitas (Mt 5,6 ; „Redlichkeit“) gleichsetzt. Akribisches Bemühen um das
Verständnis des Wortsinns bezeugt der Vergleich von Mt 5,1 mit Lk 6,17, wo der
Weg Jesu und seiner JĂĽnger einmal als Auf-, einmal als Abstieg beschrieben wird : Es
liege hier kein Widerspruch vor ; Jesus sei es einfach um das Finden eines geeigneten
Platzes zum Sprechen gegangen. Dass manchen von Scheths Ăśberlegungen auch
theologische Bedeutung zukommt, zeigt etwa seine Frage, wen man denn eigent-
lich zu den Jüngern zu zählen habe. Die Antwort lautet : nicht nur die Apostel, wie
manche behaupten, sondern auch andere, sogar totus sexus foemineus (zu Mt 5,3 ;
„das gesamte weibliche Geschlecht“). Schließlich tragen seine Ausführungen mit-
unter auch durchaus appellativen Charakter und scheuen sich dabei nicht, BezĂĽge
zur Gegenwart herzustellen. Zu Mt 5,7 mahnt er etwa, man möge Barmherzigkeit
nicht nur als Geisteshaltung, sondern auch als vorbehaltlose Einsatzbereitschaft ver-
stehen, die sich in Taten niederschlagen mĂĽsse. Zu Mt 5,10 ruft er dazu auf, fĂĽr die
Sache Christi Opfer zu bringen, und erwähnt gleich darauf zu Mt 5,11 Missionare,
in Galliae provinciis qui de novo rudes et ignorantes in Christi religione instruunt („die
in den Regionen Frankreichs rohe und unwissende Menschen erneut in der christ-
lichen Religion unterweisen“). Dies spielt auf die im 19. Jh. zunächst in Frankreich
aufgekommene, dann auf ganz Europa ausgedehnte Missionsbewegung an, die als
Reaktion auf die Französische Revolution und ihre Folgeerscheinungen einsetzte
und von den restaurativen Monarchien als Mittel zur Revolutionsprävention geför-
dert wurde (Weichlein 2005, 93–100).
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322