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1084 Von der Revolution 1848 bis heute
Quellen und
Freiheiten allen Seiten abgeschottete Rendenatal (Val Rendena) hinunterschaut. Als er sieht, wie
die Bevölkerung den heidnischen Kult des Saturn feiert, erfasst ihn großer Schmerz. Er
eilt herab, stĂĽrmt durch die verdutzte Volksmenge und reiĂźt die Saturnstatue von ihrem
Sockel, sodass sie in den nahen Fluss fällt. Daraufhin stellt er sich selbst auf den Sockel
und verkündet die Botschaft Christi. Das Volk empört sich nach anfänglichem Zögern.
Es attackiert Vigilius und steinigt ihn (V. 412–475). Die Kunde seines Todes erreicht
Trient, das in Klage und Trauer ausbricht. Vigilius’ jüngere Brüder ziehen ins Rendenatal
und bergen seinen Leichnam, der in der Dunkelheit der Nacht hell leuchtet. Das Volk
zerstreut sich reumĂĽtig. Ein von Flammen umstrahlter Engelchor erscheint beim Auf-
heben des Leichnams. Vigilius wird im Trientner Dom bestattet, wo er auch heute, 1500
Jahre später, noch liegt und ĂĽber seine Herde wacht (V.Â
476–503). Die Nachlässigkeit der
Trientner hat zu Beschädigung und Verfall des – zum Zeitpunkt der Abfassung wegen
Renovierungsarbeiten geschlossenen – Doms geführt. Vigilius soll zu einer schnellen Wie-
dereröffnung anspornen (V. 504–526). Vigilius, der Patron Trients : So oft hat er schon
geholfen ; möge er es auch weiterhin tun (V.Â
527–561) !
Die Frage nach den Quellen dieses Werks ist im Einzelnen nicht leicht zu beant-
worten – vielleicht, weil Anzoletti einiges auch frei erfindet. In ihren Anmerkungen
(63) nennt sie die Acta Sanctorum (Jun. V, 163A–168B), die eine Version der im
6.–9. Jh. entstandenen Passio Sancti Vigilii (s. hier S. 32) wiedergeben, die oben
genannten Briefe von Vigilius und Trientner Heimathistoriker, von denen Gius-
eppe Frapporti (Della storia e della condizione del Trentino nell’antico e nel medio
evo, 3 Bde.; Trient 1840–1841) und der ebenfalls schon genannte Giovanni Battista
Zanella, der auch als Autor in Erscheinung trat (Orazione in onore di San Vigilio
[Trient 1845] ; La festa di San Vigilio [Trient 1853]), namentlich erwähnt werden.
Dazu kann man wohl auch mit der Kenntnis weiterer, auf der Passio beruhender,
Versionen der Vigiliuslegende rechnen, z.B. jener in der Legenda aurea und im Li-
ber epilogorum des Bartholomäus von Trient (vgl. Gentilini 2000 ; Gobbi 2000,
jeweils mit Editionen ; vgl. hier S. 33–34. All das gibt aber letztlich nur ein paar
Grunddaten der Legende vor. Anzolettis Erzählung dichtet viel Eigenes hinzu und
scheint aus den bekannten Quellen nicht einfach ableitbar zu sein. Aufschlussreich
zu Anzolettis freier Arbeitsweise ist z.B., wie aus der dĂĽrren Bemerkung instigante
hoste antiquo („der alte Feind stachelte dazu an“) der Acta Sanctorum (165A) die Be-
schreibung des sich empörenden Satan gemacht wird. Dazu kommt – dem epischen
Medium gemäß – ein gehöriges Maß an Dramatisierung und Szenenschilderung.
In der Passio hört Vigilius z.B. noch in Trient vom Saturnkult im Rendenatal und
sieht ihn nicht erst von einer Anhöhe herab. Eine Reihe von anderen Elementen ist
in der Passio nicht einmal angedeutet, so z.B. das Taubenwunder oder die zentrale
Szene des Besuchs von Vigilius bei seiner Mutter. Zwar kennt die Legende diese
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322