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Volksmusik, Dialect und Dialectpoesie.
Zu den beneidetsten Schätzen der österreichischen Monarchie gehört ihr großer, sich
fortwährend erneuernder Reichthum an mannigfaltigster Natioualmnsik. Die musikalische
Grundmacht, die Österreich allein schon in der naiven Knust seiner Volkslieder und Volks-
tänze besitzt, — diese „Kunst vor der Kunst" — macht es zum ersteu Mnsikreich der Welt,
Deutsche, Slaven, Ungarn und Italiener, — sie bilden die vier scharf getrennten
Hauptgruppen unserer Nationalmusik. Man könnte sie, nach dem hervorstechendsten
Charakterzug ihrer Lieder, fast wie die vier Temperamente classificireu und die Italiener
als das sanguinische, die Ungarn als das cholerische, die Slaven als das melancholische,
endlich die Deutschösterreicher als das phlegmatische Temperament im musikalischen
Gesammtösterreich bezeichnen. Die Volksweisen Niederösterreichs haben keinen dieser
Provinz ausschließlich eigenen Originalcharakter, sie gehören musikalisch mit zur großen
Gruppe der österreichischen Alpenländer: Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Käruteu,
Tirol. Mit den Nationalmelodien dieser Länder haben die niederösterreichischen gemein:
die überwiegende Herrschaft des Dreivierteltacts und der Dur-Tonart, den ländlerartige»
Rhythmus, das behäbige Zeitmaß des Moderato oder Allegretto. Tirol steht gleichsam an
dem eine», Niederösterreich an dem andern Ende dieser köstlichen Reihe; neben dem kühnen
Alpencharakter der Tirolerweisen mit ihren weithinschallenden Rufen und Jodlern
erscheint Niederösterreich auch musikalisch wie ebenes Land. Innerhalb dieser Familien-
ähnlichkeit, die sich auch aus das baierische Hochland erstreckt, fehlt es freilich nicht an
bezeichnenden feineren Unterschieden, welche ein durch längeren Ausenthalt geübtes Ohr
den Volksweisen der verschiedeneu Gaue abgewinnt. Der musikalische Charakter dieser
großen Gruppe tritt viel schärfer als in Niederösterreich hervor in Steiermark, Salzburg,
Kärnten, Tirol.
Was die in Niederösterreich gangbaren Volkslieder (meist „Gstanz'ln", „Vierzeilige")
betrifft, so zeichnet sie innerhalb des vorwiegend heiter-gemüthlichen Charakters der ganzen
Gruppe wohl am meisten das Witzige, Humoristische aus, die salzigeren Bestandtheile von
Spott und Ironie. Das ist der Einfluß der städtischen Culturelemente, welche von Wien
aus in die anwohnende Bevölkerung strömten, insbesondere einer der Residenz ganz eigen-
thümlichen populären Erscheinung: der Volks sänger. Ihre glücklichen Einfälle dringen
schnell ins Volk, werden Volkslieder und eine Zeitlang allerwärts gesungen, bis sie einem
neuen in Schwung kommenden Liede Platz machen.
Es ist nicht nöthig, daß der Antor geradezu unbekannt und unerforschbar sei. Was
von eiuem volksthümlichen, naiven Talente aus dem Siuu und Gemüth des Volkes
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich, Band 4
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich
- Band
- 4
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 17.75 x 26.17 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Schilderungen aus Niederösterreich 3
- Zur Vorgeschichte Niederösterreichs 123
- Zur Geschichte Niederösterreichs 145
- Zur Volkskunde Niederösterreichs 183
- Die Architektur in Niederösterreich 263
- Burgen und Wohnstätten in Niederösterreich 287
- Malerei und Plastik in Niederösterreich 305
- Volkswirtschaftliches Leben in Niederösterreich 317