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Knie zitterten. Und der ewige Groll des subalternen Frontoffiziers gegen die
hohen Herren des Generalstabs, die keine Ahnung von der bitteren Praxis
hatten, diktierte dem Leutnant jene Handlung, die seinen Namen
unauslöschlich in die Geschichte seines Regiments einprägte. Er griff mit
beiden Händen nach den Schultern des Monarchen, um ihn niederzudrücken.
Der Leutnant hatte wohl zu stark angefaßt. Der Kaiser fiel sofort um. Die
Begleiter stürzten auf den Fallenden. In diesem Augenblick durchbohrte ein
Schuß die linke Schulter des Leutnants, jener Schuß eben, der dem Herzen
des Kaisers gegolten hatte. Während er sich erhob, sank der Leutnant nieder.
Überall, die ganze Front entlang, erwachte das wirre und unregelmäßige
Geknatter der erschrockenen und aus dem Schlummer gerissenen Gewehre.
Der Kaiser, ungeduldig von seinen Begleitern gemahnt, die gefährliche Stelle
zu verlassen, beugte sich dennoch über den liegenden Leutnant und fragte,
eingedenk seiner kaiserlichen Pflicht, den Ohnmächtigen, der nichts mehr
hörte, wie er denn heiße. Ein Regimentsarzt, ein Sanitätsunteroffizier und
zwei Mann mit einer Tragbahre galoppierten herbei, die Rücken geduckt und
die Köpfe gesenkt. Die Offiziere des Generalstabs rissen erst den Kaiser
nieder und warfen sich dann selbst zu Boden. »Hier den Leutnant!« rief der
Kaiser zum atemlosen Regimentsarzt empor.
Inzwischen hatte sich das Feuer wieder beruhigt. Und während der
Kadettoffizierstellvertreter vor den Zug trat und mit heller Stimme
verkündete: »Ich übernehme das Kommando!«, erhoben sich Franz Joseph
und seine Begleiter, schnallten die Sanitäter vorsichtig den Leutnant auf die
Bahre, und alle zogen sich zurück, in die Richtung des
Regimentskommandos, wo ein schneeweißes Zelt den nächsten Verbandplatz
überdachte.
Das linke Schlüsselbein Trottas war zerschmettert. Das Geschoß,
unmittelbar unter dem linken Schulterblatt steckengeblieben, entfernte man in
Anwesenheit des Allerhöchsten Kriegsherrn und unter dem unmenschlichen
Gebrüll des Verwundeten, den der Schmerz aus der Ohnmacht geweckt hatte.
Trotta wurde nach vier Wochen gesund. Als er in seine südungarische
Garnison zurückkehrte, besaß er den Rang eines Hauptmanns, die höchste
aller Auszeichnungen: den Maria-Theresien-Orden und den Adel. Er hieß von
nun ab: Hauptmann Joseph Trotta von Sipolje.
Als hätte man ihm sein eigenes Leben gegen ein fremdes, neues, in einer
Werkstatt angefertigtes vertauscht, wiederholte er sich jede Nacht vor dem
Einschlafen und jeden Morgen nach dem Erwachen seinen neuen Rang und
seinen neuen Stand, trat vor den Spiegel und bestätigte sich, daß sein
Angesicht das alte war. Zwischen der linkischen Vertraulichkeit, mit der seine
Kameraden den Abstand zu überwinden versuchten, den das unbegreifliche
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik