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Schicksal plötzlich zwischen ihn und sie gelegt hatte, und seinen eigenen
vergeblichen Bemühungen, aller Welt mit der gewohnten Unbefangenheit
entgegenzutreten, schien der geadelte Hauptmann Trotta das Gleichgewicht
zu verlieren, und ihm war, als wäre er von nun ab sein Leben lang verurteilt,
in fremden Stiefeln auf einem glatten Boden zu wandeln, von unheimlichen
Reden verfolgt und von scheuen Blicken erwartet. Sein Großvater noch war
ein kleiner Bauer gewesen, sein Vater Rechnungsunteroffizier, später
Gendarmeriewachtmeister im südlichen Grenzgebiet der Monarchie. Seitdem
er im Kampf mit bosnischen Grenzschmugglern ein Auge verloren hatte, lebte
er als Militärinvalide und Parkwächter des Schlosses Laxenburg, fütterte die
Schwäne, beschnitt die Hecken, bewachte im Frühling den Goldregen, später
den Holunder vor räuberischen, unberechtigten Händen und fegte in milden
Nächten obdachlose Liebespaare von den wohltätig finstern Bänken.
Natürlich und angemessen schien der Rang eines gewöhnlichen Leutnants der
Infanterie dem Sohn eines Unteroffiziers. Dem adeligen und ausgezeichneten
Hauptmann aber, der im fremden und fast unheimlichen Glanz der
kaiserlichen Gnade umherging wie in einer goldenen Wolke, war der leibliche
Vater plötzlich ferngerückt, und die gemessene Liebe, die der Nachkomme
dem Alten entgegenbrachte, schien ein verändertes Verhalten und eine neue
Form des Verkehrs zwischen Vater und Sohn zu verlangen. Seit fünf Jahren
hatte der Hauptmann seinen Vater nicht gesehen; wohl aber jede zweite
Woche, wenn er nach dem ewig unveränderlichen Turnus in den
Stationsdienst kam, dem Alten einen kurzen Brief geschrieben, im
Wachtzimmer, beim kärglichen und unruhigen Schein der Dienstkerze,
nachdem er die Wachen visitiert, die Stunden ihrer Ablösung eingetragen und
in die Rubrik »Besondere Vorfälle« ein energisches und klares »Keine«
gezeichnet hatte, das gleichsam auch nur jede leise Möglichkeit besonderer
Vorfälle leugnete. Wie Urlaubsscheine und Dienstzettel glichen die Briefe
einander, geschrieben auf gelblichen und holzfaserigen Oktavbogen, die
Anrede »Lieber Vater!« links, vier Finger Abstand vom oberen Rand und
zwei vom seitlichen, beginnend mit der kurzen Mitteilung vom Wohlergehen
des Schreibers, fortfahrend mit der Hoffnung auf das des Empfängers und
abgeschlossen von der steten, in einen neuen Absatz gefaßten und rechts
unten im diagonalen Abstand zur Anrede hingemalten Wendung: »In
Ehrfurcht Ihr treuer und dankbarer Sohn Joseph Trotta, Leutnant.« Wie aber
sollte man jetzt, zumal da man dank dem neuen Rang nicht mehr den alten
Turnus mitmachte, die gesetzmäßige, für ein ganzes Soldatenleben berechnete
Form der Briefe ändern und zwischen die normierten Sätze ungewöhnliche
Mitteilungen von ungewöhnlich gewordenen Verhältnissen rücken, die man
selbst noch kaum begriffen hatte? An jenem stillen Abend, an dem der
Hauptmann Trotta sich zum erstenmal nach seiner Genesung an den von
spielerischen Messern gelangweilter Männer reichlich zerschnitzten und
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik