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Sohn slowenisch gesprochen, obwohl der Junge nur ein paar Worte verstand
und nicht ein einziges selbst hervorbrachte. Heute aber mochte dem Alten der
Gebrauch seiner Muttersprache von dem so weit durch die Gnade des
Schicksals und des Kaisers entrückten Sohn als eine gewagte Zutraulichkeit
erscheinen, während der Hauptmann auf die Lippen des Vaters achtete, um
den ersten slowenischen Laut zu begrüßen, wie etwas vertraut Fernes und
verloren Heimisches. »Gratuliere, gratuliere!« wiederholte der Wachtmeister
donnernd. »Zu meiner Zeit ist es nie so schnell gegangen! Zu meiner Zeit hat
uns noch der Radetzky gezwiebelt!« Es ist tatsächlich aus! dachte der
Hauptmann Trotta. Getrennt von ihm war der Vater durch einen schweren
Berg militärischer Grade. »Haben Sie noch Rakija, Herr Vater?« sagte er, um
den letzten Rest der familiärenGemeinsamkeit zu bestätigen. Sie tranken,
stießen an, tranken wieder, nach jedem Trunk ächzte der Vater, verlor sich in
einem unendlichen Husten, wurde blaurot, spuckte, beruhigte sich langsam
und begann, Allerweltsgeschichten aus der eigenen Militärzeit zu erzählen,
mit der unbezweifelbaren Absicht, Verdienste und Karriere des Sohnes
geringer erscheinen zu lassen. Schließlich erhob sich der Hauptmann, küßte
die väterliche Hand, empfing den väterlichen Kuß auf Stirn und Wange,
gürtete den Säbel um, setzte den Tschako auf und ging – mit dem sichern
Bewußtsein, daß er den Vater zum letztenmal in diesem Leben gesehen
hatte …
Es war das letztemal gewesen. Der Sohn schrieb dem Alten die gewohnten
Briefe, es gab keine andere sichtbare Beziehung mehr zwischen beiden –
losgelöst war der Hauptmann Trotta von dem langen Zug seiner bäuerlichen
slawischen Vorfahren. Ein neues Geschlecht brach mit ihm an. Die runden
Jahre rollten nacheinander ab wie gleichmäßige, friedliche Räder.
Standesgemäß heiratete Trotta die nicht mehr ganz junge, begüterte Nichte
seines Obersten, Tochter eines Bezirkshauptmanns im westlichen Böhmen,
zeugte einen Knaben, genoß das Gleichmaß seiner gesunden, militärischen
Existenz in der kleinen Garnison, ritt jeden Morgen zum Exerzierplatz, spielte
nachmittags Schach mit dem Notar im Kaffeehaus, wurde heimisch in seinem
Rang, seinem Stand, seiner Würde und seinem Ruhm. Er besaß eine
durchschnittliche militärische Begabung, von der er jedes Jahr bei den
Manövern durchschnittliche Proben ablegte, war ein guter Gatte, mißtrauisch
gegen Frauen, den Spielen fern, mürrisch, aber gerecht im Dienst, grimmiger
Feind jeder Lüge, unmännlichen Gebarens, feiger Geborgenheit,
geschwätzigen Lobs und ehrgeiziger Süchte. Er war so einfach und untadelig
wie seine Konduitenliste, und nur der Zorn, der ihn manchmal ergriff, hätte
einen Kenner der Menschen ahnen lassen, daß auch in der Seele des
Hauptmanns Trotta die nächtlichen Abgründe dämmerten, in denen die
Stürme schlafen und die unbekannten Stimmen namenloser Ahnen.
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik