Seite - 11 - in Radetzkymarsch
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»Es ist für Kinder«, antwortete sanft seine Frau. Der Hauptmann kehrte ihr
den Rücken. Der Zorn schüttelte ihn wie der Sturm einen schwachen Strauch.
Er ging schnell ins Haus, sein Herz flatterte. Es war die Stunde des
Schachspiels. Er nahm den Säbel vom Haken, schnallte den Gurt mit einem
bösen und heftigen Ruck um den Leib und verließ mit wilden und langen
Schritten das Haus. Wer ihn sah, konnte glauben, daß er ausziehe, ein Schock
Feinde zu erlegen. Nachdem er im Kaffeehaus, ohne noch ein Wort
gesprochen zu haben, vier tiefe Querfurchen auf der blassen, schmalen Stirn
unter dem harten, kurzen Haar, zwei Partien verloren hatte, warf er mit einer
grimmen Hand die klappernden Figuren um und sagte zu seinem Partner: »Ich
muß mich mit Ihnen beraten!« – Pause. – »Man hat mit mir Mißbrauch
getrieben«, begann er wieder, sah geradewegs in die blitzenden Brillengläser
des Notars und merkte nach einer Weile, daß ihm die Worte fehlten. Er hätte
das Lesebuch mitnehmen müssen. Mit diesem odiosen Gegenstand in Händen
wäre ihm die Erklärung bedeutend leichter gefallen. »Was für ein
Mißbrauch?« fragte der Jurist. »Ich habe nie bei der Kavallerie gedient«,
glaubte Hauptmann Trotta am besten anfangen zu müssen, obwohl er selbst
einsah, daß man ihn so nicht begreifen konnte. »Und da schreiben diese
schamlosen Schreiber in den Kinderbüchern, daß ich auf einem Fuchs, einem
schweißbedeckten Fuchs, schreiben sie, herangesprengt bin, um den
Monarchen zu retten, schreiben sie.« – Der Notar verstand. Er selbst kannte
das Lesestück aus den Büchern seiner Söhne. »Sie überschätzen das, Herr
Hauptmann«, sagte er. »Bedenken Sie, es ist für Kinder!« Trotta sah ihn
erschrocken an. In diesem Augenblick schien es ihm, daß sich die ganze Welt
gegen ihn verbündet hatte: die Schreiber der Lesebücher, der Notar, seine
Frau, sein Sohn, der Hauslehrer. »Alle historischen Taten«, sagte der Notar,
»werden für den Schulgebrauch anders dargestellt. Es ist auch so richtig,
meiner Meinung nach. Die Kinder brauchen Beispiele, die sie begreifen, die
sich ihnen einprägen. Die richtige Wahrheit erfahren sie dann später!«
»Zahlen!« rief der Hauptmann und erhob sich. Er ging in die Kaserne,
überraschte den diensthabenden Offizier, Leutnant Amerling, mit einem
Fräulein in der Schreibstube des Rechnungsunteroffiziers, visitierte selbst die
Wachen, ließ den Feldwebel holen, bestellte den Unteroffizier vom Dienst
zum Rapport, ließ die Kompanie antreten und befahl Gewehrübungen im Hof.
Man gehorchte verworren und zitternd. In jedem Zug fehlten ein paar Mann,
sie waren unauffindbar. Hauptmann Trotta befahl, die Namen zu verlesen.
»Abwesende morgen zum Rapport!« sagte er zum Leutnant. Mit keuchendem
Atem machte die Mannschaft Gewehrübungen. Es klapperten die Ladestöcke,
es flogen die Riemen, die heißen Hände schlugen klatschend auf die kühlen,
metallenen Läufe, die mächtigen Kolben stampften auf den dumpfen, weichen
Boden. »Laden!« kommandierte der Hauptmann. Die Luft zitterte von dem
hohlen Geknatter der blinden Patronen. »Eine halbe Stunde
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik