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Man begrub den Invaliden auf dem kleinen Friedhof in Laxenburg,
Militärabteilung. Sechs dunkelblaue Kameraden trugen den Sarg von der
Kapelle zum Grabe. Der Major Trotta, in Tschako und Paradeuniform, hielt
die ganze Zeit eine Hand auf der Schulter seines Sohnes. Der Knabe
schluchzte. Die traurige Musik der Militärkapelle, der wehmütige und
eintönige Singsang der Geistlichen, der immer wieder hörbar wurde, wenn die
Musik eine Pause machte, der sanft verschwebende Weihrauch bereiteten dem
Jungen einen unbegreiflichen, würgenden Schmerz. Und die Gewehrschüsse,
die ein Halbzug über dem Grab abfeuerte, erschütterten ihn mit ihrer lang
nachhallenden Unerbittlichkeit. Man schoß soldatische Grüße der Seele des
Toten nach, die geradewegs in den Himmel zog, für immer und ewig dieser
Erde entschwunden.
Vater und Sohn fuhren zurück. Unterwegs, die ganze Zeit, schwieg der
Baron. Nur als sie die Eisenbahn verließen und hinter dem Garten der Station
den Wagen, der sie erwartete, bestiegen, sagte der Major: »Vergiß ihn nicht,
den Großvater!«
Und der Baron ging wieder seinem gewohnten Tagewerk nach. Und die
Jahre rollten dahin wie gleichmäßige, friedliche, stumme Räder. Der
Wachtmeister war nicht die letzte Leiche, die der Baron zu bestatten hatte. Er
begrub zuerst seinen Schwiegervater, ein paar Jahre später seine Frau, die
schnell, bescheiden und ohne Abschied nach einer heftigen
Lungenentzündung gestorben war. Er gab seinen Jungen in ein Pensionat nach
Wien und verfügte, daß der Sohn niemals aktiver Soldat werden dürfte. Er
blieb allein auf dem Gut, im weißen, geräumigen Haus, durch das noch der
Atem der Verstorbenen ging, sprach nur mit dem Förster, dem Verwalter, dem
Knecht und dem Kutscher. Immer seltener brach die Wut aus ihm. Das
Gesinde aber spürte ständig seine bäurische Faust, und sein zorngeladenes
Schweigen lag wie ein hartes Joch über den Nacken der Leute. Vor ihm wehte
furchtsame Stille einher wie vor einem Gewitter. Zweimal im Monat empfing
er gehorsame Briefe seines Kindes. Einmal im Monat antwortete er in zwei
kurzen Sätzen, auf kleinen, sparsamen Zetteln, den Respektsrändern, die er
von den erhaltenen Briefen abgetrennt hatte. Einmal im Jahr, am achtzehnten
August, dem Geburtstag des Kaisers, fuhr er in Uniform in die nächste
Garnisonstadt. Zweimal im Jahr kam der Sohn zu Besuch, in den Weihnachts-
und in den Sommerferien. An jedem Weihnachtsabend erhielt der Junge drei
harte silberne Gulden, die er durch Unterschrift quittieren mußte und niemals
mitnehmen durfte. Die Gulden gelangten noch am selben Abend in eine
Kassette, in die Lade des Alten. Neben den Gulden lagen die Schulzeugnisse.
Sie kündeten von des Sohnes ordentlichem Fleiß und seiner mäßigen, stets
hinreichenden Begabung. Niemals erhielt der Knabe ein Spielzeug, niemals
ein Taschengeld, niemals ein Buch, abgesehen von den vorgeschriebenen
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik