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Bildes bedurft, um sein frühes Alter und seine große Einsamkeit zu erfahren,
aus der bemalten Leinwand strömten sie ihm entgegen, die Einsamkeit und
das Alter. War es immer so? fragte er sich. Immer war es so? Ohne Absicht
ging er hie und da auf den Friedhof, zum Grab seiner Frau, betrachtete den
grauen Sockel und das kreideweiße Kreuz, das Datum der Geburt und des
Sterbetages, berechnete, daß sie zu früh gestorben war, und gestand, daß er
sich ihrer nicht genau erinnern konnte. Ihre Hände zum Beispiel hatte er
vergessen. »China-Eisenwein« kam ihm in den Sinn, eine Arznei, die sie
lange Jahre hindurch genommen hatte. Ihr Gesicht? Er konnte es noch mit
geschlossenen Augen heraufbeschwören, bald verschwand es und
verschwamm in rötlichem, kreisrundem Dämmer. Er wurde milde in Haus
und Hof, streichelte manchmal ein Pferd, lächelte den Kühen zu, trank
häufiger als bisher einen Schnaps und schrieb eines Tages seinem Sohn einen
kurzen Brief außerhalb der üblichen Termine. Man begann, ihn mit einem
Lächeln zu grüßen, er nickte gefällig. Der Sommer kam, die Ferien brachten
den Sohn und den Freund, mit beiden fuhr der Alte in die Stadt, trat in ein
Wirtshaus, trank ein paar Schluck Sliwowitz und bestellte den Jungen
reichliches Essen.
Der Sohn wurde Jurist, kam häufiger heim, sah sich auf dem Gut um,
verspürte eines Tages Lust, es zu verwalten und von der juristischen Karriere
zu lassen. Er gestand es dem Vater. Der Major sagte: »Es ist zu spät! Du wirst
in deinem Leben kein Bauer und kein Wirt! Du wirst ein tüchtiger Beamter,
nichts mehr!« Es war eine beschlossene Sache. Der Sohn wurde politischer
Beamter, Bezirkskommissär in Schlesien. War der Name Trotta auch aus den
autorisierten Schulbüchern verschwunden, so doch nicht aus den geheimen
Akten der hohen politischen Behörden, und die fünftausend Gulden, von der
Huld des Kaisers gespendet, sicherten dem Beamten Trotta eine ständige
wohlwollende Beobachtung und Förderung unbekannter höherer Stellen. Er
avancierte schnell. Zwei Jahre vor seiner Ernennung zum Bezirkshauptmann
starb der Major.
Er hinterließ ein überraschendes Testament. Da er sicher sei des Umstandes
– so schrieb er –, daß sein Sohn kein guter Landwirt wäre, und da er hoffe,
daß die Trottas, dem Kaiser dankbar für seine währende Huld, im Staatsdienst
zu Rang und Würden kommen und glücklicher als er, der Verfasser des
Testaments, im Leben werden könnten, habe er sich entschlossen, im
Andenken an seinen seligen Vater, das Gut, das ihm der Herr Schwiegervater
vor Jahren verschrieben, mit allem, was es an beweglichem wie
unbeweglichem Vermögen enthielt, dem Militärinvalidenfonds zu vermachen,
wohingegen die Nutznießer des Testaments keine andere Verpflichtung hätten
als die, den Erblasser in möglichster Bescheidenheit auf jenem Friedhof zu
bestatten, auf dem sein Vater beigesetzt worden sei, ginge es leicht, dann in
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik