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Sonntagsuniform vor der Tür seines Vaters. Fünf Minuten vor neun kam
Jacques in der grauen Livree die Treppe herunter und sagte: »Junger Herr, der
Herr Papa kommt.« Carl Joseph zog noch einmal an seinem Rock, rückte das
Koppel zurecht, nahm die Mütze in die Hand und stemmte sie, wie es
Vorschrift war, gegen die Hüfte. Der Vater kam, der Sohn schlug die Hacken
zusammen, es knallte durch das stille, alte Haus. Der Alte öffnete die Tür und
ließ mit leichtem Gruß der Hand dem Sohn den Vortritt. Der Junge blieb
stehen, er nahm die Einladung nicht zur Kenntnis. Der Vater schritt also durch
die Tür, Carl Joseph folgte ihm und blieb an der Schwelle stehen. »Mach dir’s
bequem!« sagte nach einer Weile der Bezirkshauptmann. Jetzt erst trat Carl
Joseph an den großen Lehnstuhl aus rotem Plüsch und setzte sich, dem Vater
gegenüber, die Knie steif angezogen und die Mütze mit den weißen
Handschuhen auf den Knien. Durch die dünnen Ritzen der grünen Jalousien
fielen schmale Sonnenstreifen auf den dunkelroten Teppich. Eine Fliege
summte, die Wanduhr begann zu schlagen. Nachdem die neun goldenen
Schläge verhallt waren, begann der Bezirkshauptmann: »Was macht Herr
Oberst Marek?« »Danke, Papa, es geht ihm gut!« »In der Geometrie immer
noch schwach?« »Danke, Papa, etwas besser!« »Bücher gelesen?« »Jawohl,
Papa!« »Wie steht’s mit dem Reiten? Voriges Jahr war’s nicht sonderlich … «
»In diesem Jahr«, begann Carl Joseph, wurde aber sofort unterbrochen. Sein
Vater hatte die schmale Hand ausgestreckt, die halb in der runden, glänzenden
Manschette geborgen war. Golden glitzerte der viereckige, mächtige
Manschettenknopf. »Es war nicht sonderlich, habe ich eben gesagt. Es war« –
hier machte der Bezirkshauptmann eine Pause und sagte dann mit tonloser
Stimme: »eine Schande!« – Vater und Sohn schwiegen. So lautlos das Wort
»Schande« auch ausgesprochen war, es wehte noch durch den Raum. Carl
Joseph wußte, daß nach einer strengen Kritik seines Vaters eine Pause
einzuhalten war. Man hatte das Urteil in seiner ganzen Bedeutung
aufzunehmen, zu verarbeiten, sich einzuprägen, dem Herzen und dem Gehirn
einzuverleiben. Die Uhr tickte, die Fliege summte. Dann begann Carl Joseph
– mit heller Stimme: »In diesem Jahr war’s bedeutend besser. Der
Wachtmeister selbst hat’s oft gesagt. Ich habe auch vom Herrn Oberleutnant
Koppel eine Belobung gekriegt.« »Es soll mich freuen«, bemerkte mit
Grabesstimme der Herr Bezirkshauptmann. Er stieß am Tischrand die
Manschette in den Ärmel zurück, es gab ein hartes Scheppern. »Erzähle
weiter!« sagte er und zündete sich eine Zigarette an. Es war das Signal für den
Anbruch der Gemütlichkeit. Carl Joseph legte Mütze und Handschuhe auf ein
kleines Pult, erhob sich und begann, alle Ereignisse des letzten Jahres
vorzutragen. Der Alte nickte. Auf einmal sagte er: »Du bist ja ein großer Bub,
mein Sohn! Du mutierst ja! Etwa verliebt?« Carl Joseph wurde rot. Sein
Gesicht brannte wie ein roter Lampion, er hielt es tapfer dem Vater entgegen.
»Also noch nicht!« sagte der Bezirkshauptmann. »Laß dich nicht stören!
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik