Seite - 24 - in Radetzkymarsch
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pfiffen im Takt um den Kopf Carl Josephs, sein blanker Säbel blitzte, und
Herz und Hirn erfüllt von der holden Hurtigkeit des Marsches, sank er hin in
den trommelnden Rausch der Musik, und sein Blut sickerte in einem
dunkelroten und schmalen Streifen auf das gleißende Gold der Trompeten,
das tiefe Schwarz der Pauken und das siegreiche Silber der Tschinellen.
Jacques stand hinter seinem Rücken und räusperte sich. Das Mittagessen
begann also. Wenn die Musik eine Pause machte, hörte man ein leises
Tellerklirren aus dem Speisezimmer. Es lag durch zwei weite Räume vom
Balkon getrennt, genau in der Mitte des ersten Stockwerks. Während des
Essens klang die Musik fern, aber deutlich. Leider spielte sie nicht jeden Tag.
Sie war gut und nützlich, sie umrankte die feierliche Zeremonie des Essens
mild und versöhnend und ließ keins der peinlichen, kurzen und harten
Gespräche aufkommen, die der Vater so oft anzubrechen liebte. Man konnte
schweigen, zuhören und genießen. Die Teller hatten schmale, verblassende,
blaugoldene Streifen. Carl Joseph liebte sie. Oft im Laufe des Jahres gedachte
er ihrer. Sie und der Radetzkymarsch und das Wandbildnis der verstorbenen
Mutter (an die sich der Junge nicht mehr erinnerte) und der schwere, silberne
Schöpflöffel und die Fischterrine und die Obstmesser mit den gezackten
Rücken und die winzigen Kaffeetäßchen und die gebrechlichen Löffelchen,
die dünn waren wie dünne Silbermünzen: all das zusammen bedeutete
Sommer, Freiheit, Heimat.
Er gab Jacques Überschwung, Mütze und Handschuhe und ging ins
Speisezimmer. Der Alte betrat es zu gleicher Zeit und lächelte dem Sohn zu.
Fräulein Hirschwitz, die Hausdame, kam eine Weile später, im sonntäglich
Grauseidenen, mit erhobenem Haupt, den schweren Haarknoten im Nacken,
eine mächtige, krumme Spange quer über der Brust wie eine Art
Tartarensäbel. Gewappnet und gepanzert sah sie aus. Carl Joseph hauchte
einen Kuß auf ihre lange, harte Hand. Jacques rückte die Sessel. Der
Bezirkshauptmann gab das Zeichen zum Niedersitzen. Jacques verschwand
und trat nach einer Weile wieder mit weißen Handschuhen ein, die ihn völlig
zu verändern schienen. Sie strömten einen schneeigen Glanz über sein
ohnehin schon weißes Gesicht, seinen ohnehin schon weißen Backenbart,
seine ohnehin weißen Haare. Aber sie übertrafen ja auch an Helligkeit wohl
alles, was in dieser Welt hell genannt werden konnte. Mit diesen
Handschuhen hielt er ein dunkles Tablett. Darauf stand die dampfende
Suppenterrine. Bald hatte er sie in der Mitte des Tisches hingesetzt, sorgfältig,
lautlos und sehr schnell. Nach alter Gewohnheit verteilte Fräulein Hirschwitz
die Suppe. Man kam den Tellern, die sie hinhielt, mit gastfreundlich
ausgestreckten Armen entgegen und mit einem dankbaren Lächeln in den
Augen. Sie lächelte wieder. Ein warmer, goldener Schimmer wallte in den
Tellern; es war die Suppe: Nudelsuppe. Durchsichtig, mit goldgelben, kleinen,
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik