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Herr Nechwal trank zwei kleine Tassen Kaffee, nicht mehr, nicht weniger.
Mit Bedauern zerdrückte er das letzte Drittel der Virginier. Er mußte gehen,
man schied nicht mit rauchender Zigarre. »Es war heute ganz besonders
großartig. Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin. Ich hatte leider noch
nicht das Vergnügen!« sagte Herr von Trotta und Sipolje. Carl Joseph schlug
die Hacken zusammen. Er begleitete den Kapellmeister bis zum ersten Absatz
der Treppe. Dann kehrte er ins Herrenzimmer zurück. Er stellte sich vor dem
Vater auf und sagte: »Ich gehe spazieren, Papa!« »Recht, recht! Gute
Erholung!« sagte Herr von Trotta und winkte mit der Hand.
Carl Joseph ging. Er gedachte, langsam spazierenzugehen, er wollte
schlendern, seinen Füßen beweisen, daß sie Ferien hatten. Es riß ihn
zusammen, wie man beim Militär sagte, als er dem ersten Soldaten begegnete.
Er begann zu marschieren. Er erreichte die Stadtgrenze, das große gelbe
Finanzamt, das gemächlich in der Sonne briet. Der süße Duft der Felder
schlug ihm entgegen, der schmetternde Gesang der Lerchen. Den blauen
Horizont begrenzten im Westen graublaue Hügel, die ersten dörflichen Hütten
mit Schindel- und Strohdächern traten auf, Geflügelstimmen stießen wie
Fanfaren in die sommerliche Stille. Das Land schlief, eingehüllt in Tag und
Helligkeit.
Hinter dem Bahndamm stand das Gendarmeriekommando, das ein
Wachtmeister führte. Carl Joseph kannte ihn, den Wachtmeister Slama. Er
beschloß anzuklopfen. Er betrat die brütende Veranda, klopfte, zog am
Klingeldraht, niemand meldete sich. Ein Fenster ging auf. Frau Slama beugte
sich über die Geranien und rief: »Wer dort?« Sie erblickte den kleinen Trotta
und sagte: »Sofort!« Sie machte die Flurtür auf, es roch kühl und ein wenig
nach Parfüm. Frau Slama hatte einen Tropfen Wohlgeruch auf das Kleid
getupft. Carl Joseph dachte an die Wiener Nachtlokale. Er sagte: »Der
Wachtmeister ist nicht da?« »Dienst hat er, Herr von Trotta!« erwiderte die
Frau. »Treten Sie nur ein!«
Jetzt saß Carl Joseph im Salon der Slamas. Es war ein rötliches, niedriges
Zimmer, sehr kühl, man saß wie in einem Eisschrank, die hohen Lehnen der
gepolsterten Sessel bestanden aus braun gebeiztem Schnitzwerk und
Blättergerank, das dem Rücken weh tat. Frau Slama holte kühle Limonaden,
sie trank zierliche Schlückchen, hielt den kleinen Finger gespreizt und ein
Bein übers andere geschlagen. Sie saß neben Carl Joseph und ihm zugewandt
und wippte mit einem Fuß, der in einem rotsamtenen Pantoffel gefangen war,
nackt, ohne Strumpf. Carl Joseph sah auf den Fuß, dann auf die Limonade.
Frau Slama sah er nicht ins Gesicht. Seine Mütze lag auf den Knien, die Knie
hielt er steif, aufrecht saß er vor der Limonade, als wäre es eine
Dienstobliegenheit, sie zu trinken. »Waren lange nicht da, Herr von Trotta!«
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik