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sagte die Frau Wachtmeister. »Sind recht groß geworden! Schon vierzehn
vorbei?« »Jawohl, schon lange!« Er dachte daran, möglichst schnell das Haus
zu verlassen. Die Limonade mußte man in einem Zug austrinken und eine
schöne Verbeugung machen und den Mann grüßen lassen und weggehen. Er
sah hilflos auf die Limonade, man wurde nicht mit ihr fertig. Frau Slama
schüttete nach. Sie brachte Zigaretten. Rauchen war verboten. Sie zündete
selbst eine Zigarette an und sog an ihr, nachlässig, mit geblähten
Nasenflügeln, und wippte mit dem Fuß. Plötzlich nahm sie, ohne ein Wort,
die Mütze von seinen Knien und legte sie auf den Tisch. Dann steckte sie ihm
ihre Zigarette in den Mund, ihre Hand duftete nach Rauch und Kölnisch
Wasser, der helle Ärmel ihres sommerlich geblümten Kleides schimmerte vor
seinen Augen. Er rauchte höflich die Zigarette weiter, an deren Mundstück
noch die Feuchtigkeit ihrer Lippen lag, und sah auf die Limonade. Frau Slama
steckte die Zigarette wieder zwischen die Zähne und stellte sich hinter Carl
Joseph. Er hatte Angst, sich umzuwenden. Auf einmal lagen ihre beiden
schimmernden Ärmel an seinem Hals, und ihr Gesicht lastete auf seinen
Haaren. Er rührte sich nicht. Aber sein Herz klopfte laut, ein großer Sturm
brach in ihm aus, krampfhaft zurückgehalten vom erstarrten Körper und den
festen Knöpfen der Uniform. »Komm!« flüsterte Frau Slama. Sie setzte sich
auf seinen Schoß, küßte ihn flugs und machte schelmische Augen. Von
ungefähr fiel ein blondes Büschel Haare in ihre Stirn, sie schielte hinauf und
versuchte, es mit gespitzten Lippen wegzublasen. Er begann, ihr Gewicht auf
seinen Beinen zu fühlen, gleichzeitig durchströmte ihn neue Kraft und
spannte seine Muskeln im Schenkel und in den Armen. Er umschlang die
Frau und fühlte die weiche Kühle ihrer Brust durch das harte Tuch der
Uniform. Ein leises Kichern brach aus ihrer Kehle, es war ein wenig wie
Schluchzen und etwas wie Trillern, Tränen standen in ihren Augen. Dann
lehnte sie sich zurück und begann, mit zärtlicher Genauigkeit einen Knopf der
Uniform nach dem andern zu lösen. Sie legte eine kühle, zarte Hand auf seine
Brust, küßte seinen Mund lange, mit systematischem Genuß, und erhob sich
plötzlich, als hätte sie irgendein Geräusch aufgeschreckt. Er sprang sofort auf,
sie lächelte und zog ihn langsam, rückwärts schreitend, mit beiden
ausgestreckten Händen und den Kopf zurückgeworfen, ein Leuchten im
Gesicht, zur Tür, die sie von rückwärts mit dem Fuß aufstieß. Sie glitten ins
Schlafzimmer. Wie ein ohnmächtig Gefesselter sah er zwischen halb
geschlossenen Lidern, daß sie ihn entkleidete, langsam, gründlich und
mütterlich. Mit einigem Entsetzen bemerkte er, wie Stück um Stück seiner
Paradekleidung schlaff auf die Erde sank, er hörte den dumpfen Fall seiner
Schuhe und fühlte sofort an seinem Fuß die Hand der Frau Slama. Von unten
her stieg eine neue Welle von Wärme und Kühle bis an seine Brust. Er ließ
sich fallen. Er empfing die Frau wie eine weiche, große Welle aus Wonne,
Feuer und Wasser.
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik