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Herz hast!« Der Bezirkshauptmann ordnete seine Krawatte vor dem Spiegel.
Er hatte noch in der Statthalterei zu tun, in der Polizeidirektion, im
Oberlandesgericht. »Du begleitest mich!« sagte er.
Sie fuhren im Zweispänner auf Gummirädern. Festlicher als je erschienen
die Straßen Carl Joseph. Das breite, sommerliche Gold des Nachmittags floß
über Häuser und Bäume, Straßenbahnen, Passanten, Polizisten, grüne Bänke,
Monumente und Gärten. Man hörte den hurtigen, schnalzenden Aufschlag der
Hufe auf das Pflaster. Junge Frauen glitten wie helle, zärtliche Lichter vorbei.
Soldaten salutierten. Schaufenster schimmerten. Der Sommer wehte milde
durch die große Stadt.
Alle Schönheiten des Sommers aber glitten an Carl Josephs gleichgültigen
Augen vorüber. An sein Ohr schlugen die Worte des Vaters. Hundert
Veränderungen hatte der Alte festzustellen: verlegte Tabaktrafiken, neue
Kioske, verlängerte Omnibuslinien, verschobene Haltestellen. Vieles war zu
seiner Zeit anders gewesen. Aber an alles Verschwundene wie an alles
Bewahrte heftete er seine treue Erinnerung, seine Stimme hob mit leiser und
ungewohnter Zärtlichkeit winzige Schätze aus verschütteten Zeiten, seine
magere Hand deutete grüßend nach den Stellen, an denen einst seine Jugend
geblüht hatte. Carl Joseph schwieg. Auch er hatte soeben die Jugend verloren.
Seine Liebe war tot, aber sein Herz aufgetan der väterlichen Wehmut, und er
begann zu ahnen, daß hinter der knöchernen Härte des Bezirkshauptmanns ein
anderer verborgen war, ein Geheimnisvoller und dennoch Vertrauter, ein
Trotta, Abkömmling eines slowenischen Invaliden und des merkwürdigen
Helden von Solferino. Und je lebhafter des Alten Ausrufe und Bemerkungen
wurden, desto spärlicher und leiser kamen die gehorsamen und gewohnten
Bestätigungen des Sohnes, und das stramme und diensteifrige »Jawohl,
Papa«, der Zunge eingeübt seit frühen Jahren, klang nunmehr anders,
brüderlich und heimisch. Jünger schien der Vater zu werden und älter der
Sohn. Sie hielten vor mehreren Amtsgebäuden, in denen der
Bezirkshauptmann nach früheren Genossen, Zeugen seiner Jugend, suchte.
Der Brandl war Polizeirat geworden, der Smekal Sektionschef,
Monteschitzky Oberst und Hasselbrunner Legationsrat. Sie hielten vor den
Läden, bestellten bei Reitmeyer in den Tuchlauben ein Paar Salonstiefeletten,
matt, Chevreaux, für Hofball und Audienz, eine Salonhose auf der Wieden
beim Hof- und Militärschneider Ettlinger, und es ereignete sich das
Unglaubliche, daß der Bezirkshauptmann beim Hofjuwelier Schafransky eine
silberneTabatiere, solide und mit geripptem Rücken, auswählte; ein
Luxusgegenstand, in den er die tröstlichen Worte eingravieren ließ: »in
periculo securitas. Dein Vater.«
Sie landeten vor dem Volksgarten und tranken Kaffee. Weiß im
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik