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dunkelgrünen Schatten leuchteten die runden Tische der Terrasse, auf den
Tischtüchern blauten die Siphons. Wenn die Musik innehielt, hörte man den
jubelnden Gesang der Vögel. Der Bezirkshauptmann hob den Kopf, und als
zöge er Erinnerungen aus der Höhe, begann er: »Hier hab’ ich einmal ein
kleines Mädel kennengelernt. Wie lang wird’s her sein?« Er verlor sich in
stummen Berechnungen. Lange, lange Jahre schienen seit damals vergangen;
es war Carl Joseph, als säße neben ihm nicht sein Vater, sondern ein Urahne.
»Mizzi Schinagl hat’s geheißen!« sagte der Alte. In den dichten Kronen der
Kastanien suchte er nach dem verschollenen Bildnis Fräulein Schinagls, als
wäre sie ein Vögelchen gewesen. »Sie lebt noch?« fragte Carl Joseph aus
Höflichkeit und wie um einen Anhaltspunkt für die Abschätzung der
verschwundenen Epochen zu gewinnen. »Hoffentlich! Zu meiner Zeit, weißt
du, war man nicht sentimental. Man nahm Abschied von Mädchen und auch
von Freunden … « Er unterbrach sich plötzlich. Ein Fremder stand an ihrem
Tisch, ein Mann mit Schlapphut und flatternder Krawatte, in einem grauen
und sehr alten Cutaway mit schlaffen Schößen, dichtes, langes Haar im
Nacken, das breite, graue Gesicht mangelhaft rasiert, auf den ersten Blick ein
Maler, von jener übertriebenen Deutlichkeit der überlieferten künstlerischen
Physiognomie, die unwirklich erscheint und ausgeschnitten aus alten
Illustrationen. Der Fremde legte seine Mappe auf den Tisch und machte
Anstalten, seine Werke anzubieten, mit dem hochmütigen Gleichmut, den ihm
Armut und Sendung zu gleichen Teilen eingeben mochten. »Aber Moser!«
sagte Herr von Trotta. Der Maler rollte langsam die schweren Lider von
seinen großen, hellen Augen empor, betrachtete ein paar Sekunden den
Bezirkshauptmann, streckte die Hand aus und sagte: »Trotta!«
Im nächsten Augenblick schon hatte er die Bestürzung wie die Sanftheit
abgelegt, schmetterte die Mappe hin, daß die Gläser zitterten, rief dreimal
hintereinander: »Donnerwetter!«, so mächtig, als erzeugte er es wirklich, ließ
den Blick triumphierend über die benachbarten Tische kreisen und schien
Applaus von den Gästen zu erwarten, setzte sich, lüftete den Schlapphut und
warf ihn auf den Kies neben den Stuhl, schob mit dem Ellbogen die Mappe
vom Tisch, bezeichnete sie gelassen als »Dreck«, neigte den Kopf gegen den
Leutnant vor, zog die Augenbrauen zusammen, lehnte sich wieder zurück und
sagte: »Wie, Herr Statthalter, dein Herr Sohn?«
»Das ist mein Jugendfreund, der Herr Professor Moser!« erklärte der
Bezirkshauptmann.
»Donnerwetter, Herr Statthalter!« wiederholte Moser. Er faßte gleichzeitig
nach dem Frack eines Kellners, erhob sich und flüsterte eine Bestellung wie
ein Geheimnis, setzte sich und schwieg, die Augen in jene Richtung
gewendet, aus der die Kellner mit den Getränken kommen mußten.
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik