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Schließlich stand ein Sodawasserglas vor ihm, halbgefüllt mit wasserklarem
Sliwowitz; er führte es vor geblähter Nase ein paarmal hin und her, setzte mit
einer mächtigen Armbewegung an, als gälte es, einen schweren Humpen auf
einen Zug zu leeren, nippte schließlich nur ein wenig und sammelte dann mit
vorgestreckter Zungenspitze die Tropfen von den Lippen ab.
»Du bist zwei Wochen hier und besuchst mich nicht!« begann er mit der
forschenden Strenge eines Vorgesetzten.
»Lieber Moser«, sagte Herr von Trotta, »ich bin gestern gekommen und
fahre morgen wieder zurück.«
Der Maler sah lange in das Gesicht des Bezirkshauptmanns. Dann setzte er
das Glas wieder an und trank es ohne Aufenthalt leer wie Wasser. Als er es
hinstellen wollte, traf er nicht mehr die Untertasse und ließ es sich von Carl
Joseph aus der Hand nehmen. »Danke!« sagte der Maler, und mit
ausgestrecktem Zeigefinger auf den Leutnant: »Außerordentlich, die
Ähnlichkeit mit dem Helden von Solferino! Nur etwas weicher! Schwächliche
Nase! Weicher Mund! Kann sich aber mit der Zeit ändern … !«
»Professor Moser hat den Großvater gemalt!« bemerkte der alte Trotta.
Carl Joseph sah den Vater und den Maler an, und in seiner Erinnerung erstand
das Porträt des Großvaters, verdämmernd unter dem Suffit des
Herrenzimmers. Unfaßbar erschien ihm die Beziehung des Großvaters zu
diesem Professor; die Vertrautheit des Vaters mit Moser erschreckte ihn, er
sah die schmutzige, breite Hand des Fremden mit freundschaftlichem Schlag
auf die gestreifte Hose des Bezirkshauptmanns niederfallen und den
abwehrenden, sanften Rückzug des väterlichen Oberschenkels. Da saß nun
der Alte, würdig wie sonst, zurückgelehnt und gleichsam abgehalten vom
Alkoholgeruch, der gegen seine Brust und sein Angesicht gerichtet war,
lächelte und ließ sich alles gefallen. »Solltest dich renovieren lassen«, sagte
der Maler. »Schäbig bist du geworden! Dein Vater hat anders ausgesehn.«
Der Bezirkshauptmann strich seinen Backenbart und lächelte. »Ja, der alte
Trotta!« begann wieder der Maler.
»Zahlen!« sagte plötzlich leise der Bezirkshauptmann. »Du entschuldigst,
Moser, wir haben eine Verabredung.«
Der Maler blieb sitzen, Vater und Sohn verließen den Garten.
Der Bezirkshauptmann schob seinen Arm unter den des Sohnes. Zum
erstenmal fühlte Carl Joseph den dürren Arm des Vaters an der Brust. Die
väterliche Hand im dunkelgrauen Glacéhandschuh lag in leicht gekrümmter
Zutraulichkeit auf dem blauen Ärmel der Uniform. Es war die gleiche Hand,
die, hager und zürnend, umscheppert von der steifen Manschette, mahnen
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik