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Stehen zu tun, und als müßte man auch sitzend noch einen besonderen Halt
haben, sobald von jenem Stransky die Rede war:
»Ich hab’ ihn zuletzt vor neunzehn Jahren gesehn. Da war er noch
Oberleutnant. Schon verliebt in diese Koppelmann. Unheilbar! Die
Geschichte war recht fatal. Verliebt war er halt in eine Koppelmann.« Er
sprach diesen Namen lauter als das übrige und mit einer deutlichen Zäsur
zwischen den beiden Teilen. »Sie konnten die Kaution natürlich nicht
aufbringen. Deine Mutter hätt’ mich beinah dazu gebracht, die Hälfte
herzugeben.«
»Er hat den Dienst quittiert?«
»Ja, das hat er. Und ist zur Nordbahn gekommen. Wie weit ist er heute?
Bahnrat, glaub’ ich, wie?«
»Jawohl, Papa!«
»Na also. Hat er nicht den Sohn Apotheker werden lassen?«
»Nein, Papa, der Alexander ist noch im Gymnasium.«
»So. Hinkt ein bißchen, hab’ ich gehört, wie?«
»Er hat ein kürzeres Bein.«
»Na ja!« schloß der Alte befriedigt, als hätte er schon vor neunzehn Jahren
vorausgesehn, daß Alexander hinken würde.
Er erhob sich, die Lampen im Vestibül flammten auf und
beleuchteten seine Blässe. »Ich will Geld holen«, sagte er. Er näherte sich der
Treppe. »Ich hol’s, Papa!« sagte Carl Joseph. »Danke!« sagte der
Bezirkshauptmann.
»Ich empfehle dir«, sagte er dann, während sie die Mehlspeise aßen, »die
Bacchussäle. Soll so eine neue Sache sein! Triffst dort vielleicht den Smekal.«
»Danke, Papa! Gute Nacht!«
Zwischen elf und zwölf vormittags besuchte Carl Joseph den Onkel
Stransky. Der Bahnrat war noch im Büro, seine Frau, geborene Koppelmann,
ließ den Bezirkshauptmann herzlich grüßen. Carl Joseph ging langsam über
den Ringkorso ins Hotel. Er bog in die Tuchlauben ein, ließ die Hosen ins
Hotel schicken, holte die Zigarettendose ab. Die Zigarettendose war kühl,
man fühlte ihre Kühle durch die Tasche der dünnen Bluse an der Haut. Er
dachte an den Kondolenzbesuch beim Wachtmeister Slama und faßte den
Beschluß, keinesfalls das Zimmer zu betreten. Herzlichstes Beileid, Herr
Slama! wird er sagen, auf der Veranda noch. Die Lerchen trillern unsichtbar
im blauen Gewölbe. Man hört das schleifende Wispern der Grillen. Man
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik