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des Gendarmen entgegenzukommen, rief Carl Joseph lauter, als er
beabsichtigt hatte: »Grüß Gott, Herr Slama!« Er streckte die Hand aus, stürzte
sich gleichsam in die Begrüßung wie in eine Schanze, erwartete mit der
Ungeduld, mit der man einem Angriff entgegensieht, die schwerfälligen
Vorbereitungen des Wachtmeisters, die Anstrengung, mit der er den nassen
Zwirnhandschuh abstreifte und seine beflissene Hingabe an dieses
Unterfangen und seinen gesenkten Blick. Endlich legte sich die entblößte
Hand feucht, breit und ohne Druck in die des Leutnants. »Danke für den
Besuch, Herr Baron!« sagte der Wachtmeister, als wäre der Leutnant nicht
eben gekommen, sondern im Begriff zu gehn. Der Wachtmeister holte den
Schlüssel hervor. Er sperrte die Tür auf. Ein Windstoß peitschte den
prasselnden Regen gegen die Veranda. Es war, als triebe er den Leutnant ins
Haus. Dämmrig war der Flur. Leuchtete nicht ein schmaler Streifen auf,
schmal, silbern, irdische Spur der Toten? – Der Wachtmeister machte die
Küchentür auf, die Spur ertrank im einströmenden Licht. »Bitte abzulegen!«
sagte Slama. Er steht selbst noch im Mantel und gegürtet. Herzliches Beileid!
denkt der Leutnant. Ich sage es jetzt schnell und gehe dann wieder. Schon
breitet Slama die Arme aus, um Carl Joseph den Mantel abzunehmen. Carl
Joseph ergibt sich in die Höflichkeit, die Hand Slamas streift einen
Augenblick den Nacken des Leutnants, den Haaransatz über dem Kragen, just
an jener Stelle, an der sich die Hände der Frau Slama zu verschränken
pflegten, zarte Riegel der geliebten Fessel. Wann genau, zu welchem
Zeitpunkt, wird man endlich die Kondolenzformel abstoßen können? Wenn
wir in den Salon treten oder erst, wenn wir uns gesetzt haben? Muß man sich
dann wieder erheben? Es ist, als ob man nicht den geringsten Laut
hervorbringen könnte, bevor nicht jenes dumme Wort gesagt ist, ein Ding, das
man auf den Weg mitgenommen und die ganze Zeit im Mund getragen hat. Es
liegt auf der Zunge, lästig und unnütz, von schalem Geschmack. Der
Wachtmeister drückt die Klinke nieder, die Salontür ist verschlossen. Er sagt:
»Pardon!«, obwohl er nichts dafür kann. Er greift wieder nach der Tasche im
Mantel, den er bereits abgelegt hat – es scheint schon sehr lange her – und
klirrt mit dem Schlüsselbund. Niemals war diese Tür verschlossen gewesen,
zu Lebzeiten der Frau Slama. Sie ist also nicht da! denkt der Leutnant auf
einmal, als wäre er nicht hergekommen, weil sie eben nicht mehr da ist, und
merkt, daß er die ganze Zeit noch die verborgene Vorstellung gehegt hat, sie
könnte dasein, in einem Zimmer sitzen und warten. Nun ist sie bestimmt nicht
mehr da. Sie liegt in der Tat draußen unter dem Grab, das er eben gesehn hat.
Ein feuchter Geruch liegt im Salon, von den zwei Fenstern ist eines
verhangen, durch das andere schwimmt das graue Licht des trüben Tages.
»Bitte einzutreten!« wiederholt der Wachtmeister. Er steht hart hinter dem
Leutnant. »Danke!« sagt Carl Joseph. Und er tritt ein und geht an den runden
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik