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Tisch, er kennt genau das Muster der gerippten Decke, die ihn verhüllt, und
den zackigen, kleinen Fleck in der Mitte, die braune Politur und die Schnörkel
der gerillten Füße. Hier steht die Kredenz mit den Glasfenstern, Pokale aus
Neusilber dahinter und kleine Puppen aus Porzellan und ein Schwein aus
gelbem Ton mit einem Spalt für Sparmünzen im Rücken. »Erweisen mir die
Ehre, Platz zu nehmen!« murmelt der Wachtmeister. Er steht hinter der Lehne
eines Sessels, umfaßt sie mit den Händen, er hält sie vor sich wie einen
Schild. Vor mehr als vier Jahren hat ihn Carl Joseph zuletzt gesehn. Damals
war er im Dienst. Er trug einen schillernden Federbusch am schwarzen Hut,
Riemen überkreuzten seine Brust, das Gewehr hielt er bei Fuß, er wartete vor
der Kanzlei des Bezirkshauptmanns. Er war der Wachtmeister Slama, der
Name war wie der Rang, der Federbusch gehörte wie der blonde Schnurrbart
zu seiner Physiognomie. Jetzt steht der Wachtmeister barhäuptig da, ohne
Säbel, Riemen und Gurt, man sieht den fettigen Glanz des gerippten
Uniformstoffs auf der leichten Wölbung des Bauchs über der Lehne, und es
ist nicht mehr der Wachtmeister Slama von damals, sondern der Herr Slama,
ein Wachtmeister der Gendarmerie im Dienst, früher Mann der Frau Slama,
jetzt Witwer und Herr dieses Hauses. Die kurzgeschnittenen, blonden
Härchen liegen, in der Mitte gescheitelt, wie ein zweiflügeliges Bürstchen
über der faltenlosen Stirn mit dem waagerechten, rötlichen Streifen, den der
dauernde Druck der harten Mütze hinterlassen hat. Verwaist ist dieser Kopf
ohne Mütze und Helm. Das Angesicht ohne den Schatten des Schirmrandes
ein regelmäßiges Oval, ausgefüllt von Wangen, Nase, Bart und kleinen,
blauen, verstockten, treuherzigen Augen. Er wartet, bis Carl Joseph sich
gesetzt hat, rückt dann den Sessel, setzt sich ebenfalls und zieht seine
Tabatiere. Sie hat einen Deckel aus buntbemaltem Email. Der Wachtmeister
legt sie in die Mitte des Tisches, zwischen sich und den Leutnant und sagt:
»Eine Zigarette gefällig?« – Es ist Zeit zu kondolieren, denkt Carl Joseph,
erhebt sich und sagt: »Herzliches Beileid, Herr Slama!« Der Wachtmeister
sitzt, beide Hände vor sich an der Tischkante, scheint nicht sofort zu
erkennen, worum es sich handelt, versucht zu lächeln, erhebt sich zu spät in
dem Augenblick, in dem Carl Joseph sich wieder setzen will, nimmt die
Hände vom Tisch und führt sie an die Hose, neigt den Kopf, erhebt ihn
wieder, sieht Carl Joseph an, als wolle er fragen, was zu tun sei. – Sie setzen
sich wieder. – Es ist vorbei. Sie schweigen. »Sie war eine brave Frau, die
selige Frau Slama!« sagt der Leutnant.
Der Wachtmeister führt die Hand an den Schnurrbart und sagt, ein dünnes
Bartende zwischen den Fingern: »Sie ist schön gewesen, Herr Baron haben
sie ja gekannt.« »Ich hab’ sie gekannt, Ihre Frau Gemahlin. Ist sie leicht
gestorben?« »Zwei Tage hat’s gedauert. Wir haben den Doktor zu spät geholt.
Sie wär’ sonst am Leben geblieben. Ich hab’ Dienst gehabt in der Nacht. Wie
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik