Seite - 48 - in Radetzkymarsch
Bild der Seite - 48 -
Text der Seite - 48 -
ich heimkomm’, ist sie tot. Vom Finanzer die Frau drüben ist bei ihr
gewesen.« Und gleich darauf: »Vielleicht ein Himbeerwasser gefällig?«
»Bitte, bitte!« sagt Carl Joseph, mit einer helleren Stimme, als könnte das
Himbeerwasser eine ganz veränderte Lage schaffen, und er sieht den
Wachtmeister aufstehn und zur Kommode gehn, und er weiß, daß es dort kein
Himbeerwasser gibt. Es steht in der Küche im weißen Schrank, hinter Glas,
dort hat es Frau Slama immer geholt. Er verfolgt aufmerksam alle
Bewegungen des Wachtmeisters, die kurzen, starken Arme in den engen
Ärmeln, die sich recken, um auf der höchsten Etagere nach der Flasche zu
fassen, und die sich dann hilflos senken, während die gestreckten Füße wieder
auf ihre Sohlen zurückfallen und Slama, gleichsam heimgekehrt aus einem
fremden Gebiet, in das er eine überflüssige und leider erfolglose
Entdeckungsfahrt unternommen hat, sich wieder umwendet und mit rührender
Hoffnungslosigkeit in den blitzblauen Augen die schlichte Mitteilung macht:
»Bitte um Entschuldigung, ich find’s leider nicht!«
»Das macht nichts, Herr Slama!« tröstet der Leutnant. Der Wachtmeister
aber, als hätte er diesen Trost nicht gehört oder als hätte er einem Befehl zu
gehorchen, der, von höherer Stelle ausdrücklich erteilt, keine Milderung mehr
durch ein Eingreifen Niederer erfahren könne, verläßt das Zimmer. Man hört
ihn in der Küche hantieren, er kommt zurück, die Flasche in der Hand, holt
Gläser mit matten Randornamenten aus der Kredenz und stellt eine Karaffe
Wasser auf den Tisch und gießt aus der dunkelgrünen Flasche die zähe,
rubinrote Flüssigkeit ein und wiederholt noch einmal: »Erweisen mir die
Ehre, Herr Baron!« Der Leutnant gießt Wasser aus der Karaffe in den
Himbeersaft, man schweigt, es rinnt mit starkem Strahl aus dem
geschwungenen Mund der Karaffe, plätschert ein wenig und ist wie eine
kleine Antwort auf das unermüdliche Fließen des Regens draußen, den man
die ganze Zeit über hört. Er hüllt, man weiß es, das einsame Haus ein und
scheint die beiden Männer noch einsamer zu machen. Allein sind sie. Carl
Joseph hebt das Glas, der Wachtmeister tut das gleiche, der Leutnant
schmeckt die süße, klebrige Flüssigkeit. Slama trinkt das Glas mit einem Zug
leer, Durst hat er, merkwürdigen, unerklärlichen Durst an diesem kühlen Tag.
»Rücken jetzt zu den X-ten Ulanen ein?« fragt Slama. »Ja, ich kenne das
Regiment noch nicht.« »Ich habe einen bekannten Wachtmeister dort,
Rechnungsunteroffizier Zenower. Er hat mit mir bei den Jägern gedient, hat
sich dann transferieren lassen. Ein nobles Haus, sehr gebildet. Er wird die
Offiziersprüfung sicher machen. Unsereins bleibt, wo er gewesen ist. Bei der
Gendarmerie sind keine Aussichten mehr.« – Der Regen ist stärker geworden,
die Windstöße heftiger, es prasselt immer wieder an die Fenster. – Carl Joseph
sagt: »Es ist überhaupt schwer, in unserm Beruf, beim Militär mein’ ich!« Der
Wachtmeister bricht in ein unverständliches Lachen aus, es scheint ihn
48
zurück zum
Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik