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außerordentlich zu freuen, daß es schwer ist in dem Beruf, den er und der
Leutnant ausüben. Er lacht ein wenig stärker, als er möchte. Man sieht es an
seinem Mund, der weiter geöffnet ist, als das Lachen erfordert, und der länger
offenbleibt, als es dauert. Also ist es einen Augenblick so, als könnte sich der
Wachtmeister aus körperlichen Gründen allein schon schwer entschließen, zu
seinem alltäglichen Ernst zurückzufinden. Freut es ihn wirklich, daß er und
Carl Joseph es so schwer im Leben haben? »Herr Baron belieben«, beginnt er,
»von ›unserm‹ Beruf zu sprechen. Bitte, es mir nicht übel zu nehmen, bei
unsereinem ist es doch etwas anders.« Carl Joseph weiß nichts darauf zu
erwidern. Er fühlt (auf eine unbestimmte Weise), daß der Wachtmeister eine
Gehässigkeit gegen ihn hegt, vielleicht gegen die Zustände in Armee und
Gendarmerie überhaupt. Man hat in der Kadettenschule nie etwas darüber
gelernt, wie sich ein Offizier in einer ähnlichen Lage zu benehmen hat. Auf
jeden Fall lächelt Carl Joseph, ein Lächeln, das wie eine eiserne Klammer
seine Lippen herabzieht und zusammenpreßt; es sieht aus, als geize er mit
dem Ausdruck des Vergnügens, den der Wachtmeister so unbedenklich
verschwendet. Das Himbeerwasser, auf der Zunge soeben noch süß, schickt
aus der Kehle einen bittern, schalen Geschmack zurück, man möchte einen
Cognac darauf trinken. Niedriger und kleiner als sonst erscheint heute der
rötliche Salon, vielleicht vom Regen zusammengepreßt. Auf dem Tisch liegt
das wohlbekannte Album mit den steifen, glänzenden Messingohren. Alle
Bilder sind Carl Joseph bekannt. Wachtmeister Slama sagt: »Gestatten
gefälligst?« und schlägt das Album auf und hält es vor den Leutnant hin. In
Zivil ist er hier photographiert, an der Seite seiner Frau, als junger Ehemann.
»Damals war ich noch Zugführer!« sagt er etwas bitter, als hätte er sagen
mögen, daß ihm dazumal bereits eine höhere Charge gebührt hätte. Frau
Slama sitzt neben ihm in einem engen, hellen Sommerkleid mit Wespentaille
wie in einem duftigen Panzer, einen breiten, weißen Tellerhut schief auf dem
Haar. Was ist das? Hat Carl Joseph noch niemals das Bild gesehn? Warum
scheint es ihm denn heute so neu? Und so alt? Und so fremd? Und so
lächerlich? Ja, er lächelt, als betrachte er ein komisches Bild aus längst
vergangenen Zeiten und als wäre Frau Slama ihm niemals nahe und teuer
gewesen und als wäre sie nicht erst vor ein paar Monaten, sondern schon vor
Jahren gestorben. »Sie war sehr hübsch! Man sieht’s!« sagt er, nicht mehr aus
Verlegenheit, wie früher, sondern aus ehrlicher Heuchelei. Man sagt etwas
Nettes von einer Toten, im Angesicht des Witwers, dem man kondoliert.
Er fühlt sich sofort befreit und von der Toten geschieden, als wäre alles,
alles ausgelöscht. Einbildung war alles gewesen! Das Himbeerwasser trinkt er
aus, steht auf und sagt: »Ich werde also gehn, Herr Slama!« Er wartet auch
nicht, er macht kehrt, der Wachtmeister hat kaum Zeit gehabt, aufzustehn,
schon stehn sie wieder im Flur, schon hat Carl Joseph den Mantel an, streift
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik